World Grand Prix – das Finale bot alles: von A wie aufregend bis Z wie zielsicher
Sonntag, der 8. Oktober 2023 oder in anderen Worten ausgedrückt: Finalnacht des World Grand Prix im englischen Leicester. Nach den durchwachsenen Halbfinal-Partien der gestrigen Abendsession stand heute die Entscheidung des Endspiels an. Der Gewinner des finalen Duells würde Titel, Pokal und Siegerscheck nach Hause nehmen. Die Woche hatte mit 32 Teilnehmern begonnen, nun würden die verbliebenen zwei Topspieler am Oche stehen. Nach sechs spannenden Turniertagen kamen also nur noch zwei Akteure für die Siegerprämie in Frage: Gerwyn Price und Luke Humphries.
Der „Iceman“ gewann den World Grand Prix bereits einmal und zwar in 2020. Doch während der Waliser außer dem World Grand Prix nicht nur den nicht minder bedeutsamen WM-Titel, sondern einige weitere lukrative Majorsiege einstreichen konnte, u. a. dreimal den Grand Slam of Darts und zweimal die World Series Finals, wäre es für Luke Humphries der erste Sieg überhaupt in einem Majorturnier. Noch dazu würde „Cool Hand“ Luke mit dem Gewinn des World Grand Prix seinen heutigen Kontrahenten von Platz vier der Order of Merit verdrängen. Wenn man in den letzten Tagen genau hingehört hat, ist der vierte Platz der Weltrangliste für Humphries das erklärte Ziel und ihm scheinbar wichtiger als alles andere auf diesem Darts-Planeten. Klar, sein erstes Majorturnier zu gewinnen, kann für ihn nicht so nebensächlich sein, wie das jetzt auf den ersten Blick erscheint, aber dieser vierte Platz nimmt nichtsdestotrotz eine herausragende Stellung in Motivation und im Ansinnen des Engländers ein. Ansporn genug, um heute Abend Gas zu geben.
Wohingegen Humphries ohne Satzverlust durchs Halbfinale marschierte – o.k, betrachtet man das Match gegen Joe Cullen genauer, ist „marschiert“ definitiv der falsche Ausdruck – nichtdestotrotz hat „Cool Hand“ Luke keinen Satz abgegeben, während Gerwyn Price sich den Sieg gegen Michael Smith mit 4:2 sicherte und somit seinem Gegner zwei Legs überlassen musste. Im Hinblick auf die übrigen Statistikwerte der Halbfinals schnitten beide zugegebenermaßen nicht im Stile eines Majorchampions ab.
Bei den Averages gaben sie sich nicht viel, beide auf Augenhöhe, allerdings auf relativ niedriger Augenhöhe. Humphries mit 85,96%, Price lag bei 85,08% - da war viel Luft nach oben. Auch in der Checkout-Quote lag der Engländer leicht vorne, Humphries 29%, Price 26%, aber auch dieser Vorsprung eignete sich nicht wirklich zum Angeben. Beide mit vier 180ern und jeder nur ein einziges High-Finish – das kennen wir von diesen zwei Top-Spielern auch anders.
Humphries trat erst zum zweiten Mal in seiner Karriere in einem Major-Finale an. Die erste Finalteilnahme war bei den UK Open 2021, wo er vor leeren Rängen 5:11 einem blendend aufgelegten James Wade unterlag. Auch heute würde ihn eine besonders schwere Aufgabe erwarten, denn es ging (diesmal wieder in mit begeisterten Zuschauern gefüllter Halle) gegen den erfolgsverwöhnten Waliser, Gerwyn Price. Noch dazu hatte der „Iceman“, mal abgesehen vom gestrigen Halbfinalmatch, diese Woche schon herausragendes Überflieger-Darts präsentiert. Price selbst bezeichnete das Spiel gegen den Weltranglistenersten, Michael Smith wohlweislich als „Rollercoaster“ der Gefühle.
Game On!
Um es mit den Worten von John McDonald zu sagen: Luke Huuuuuuumphries und Gerwyn Prrrrrrrrrice betraten den Schauplatz. Das Publikum reagierte bei der Ankündigung des „Iceman“ für meinen Geschmack ein wenig zuuuuuu heftig, denn John McDonald hatte Schwierigkeiten, die Buhrufe zu übertönen. Ich habe den Master of Ceremony selten so irritiert gesehen, sodass sein Aufruf der Spieler dieses Mal sogar ein wenig ins Stocken geriet.
Dann waren beide auf der Bühne angekommen, und es konnte losgehen. Die siebte und abschließende Abendsession sollte die Entscheidung bringen und im Finale ging es über Best-of-9-Sets. Somit musste man heute richtig arbeiten, denn man benötigte fünf gewonnene Sets, um schlussendlich den Pokal in die Höhe heben zu können.
Gut, Leicester befindet sich geografisch relativ mittig in England, d.h. man wusste, ein Waliser hat es relativ schwer gegen einen Engländer. Doch der „Iceman“, von dem man annehmen könnte, er sei bereits mit dem Widerstand des Publikums vertraut, machte deutlich, dass er sich nicht daran gewöhnen mochte. Den Buhrufen des Publikums strotzend ließ sich Gerwyn Price den ersten Satz dennoch nicht nehmen. Und er holte ihn sich im Stile eines ehemaligen Word Grand Prix-Champions gleich mal mit 3:0 in den Legs. Somit gelang ihm nicht nur ein überlegener erster Satz, er schaffte es auch, die Lautstärke des Publikums mit seinem Jubelschrei zu übertönen.
Humphries war anzumerken, dass er noch Anlaufzeit benötigt hatte, während Price in allen drei Legs des ersten Satzes mit einer 100%-Double-In-Quote eingestiegen und hervorragenden 60% beim Checkout ausgestiegen war. Satz zwei begann unter anderen Vorzeichen. Luke Humphries war nun im Match angekommen, brauchte nicht einmal fünf Minuten, um das erste Leg mit einem 10-Darter abzuräumen. Es war übrigens erst der zweite 10-Darter in dieser Woche. Dabei gelangen „Cool Hand“ Luke nicht nur zwei 180er im selben Leg, sondern auch das erste High-Finish des Abends. Mit 20, Triple 19, Double 16 checkte er die 109 aus. Und obwohl Gerwyn Price den Anschluss zum 1:1 schaffte, ließ Luke im Anschluss nichts mehr zu und holte sich den zweiten Satz 3:1.
Ausgleich in den Sätzen. Im dritten Set waren nun beide on fire. Price mit seiner ersten 180 des Abends, trotzdem holte sich der Engländer das Break zum 1:0, bestätigte das auch im nächsten Leg, welches er selbst angeworfen hatte. 2:0. Price mit seiner zweiten 180 und etwa 10 Punkten mehr im Average und auch mehr Pfeilen im Double-In, trotzdem lag Humphries in diesem Satz mit Break vorne. Der „Iceman“ wusste, er muss mindestens die Pflichtaufgabe erfüllen und sein eigenes Leg holen, das schaffte er. Anschluss zum 2:1. Doch das genügte halt nicht, denn auch Humphries brachte seinen Anwurf durch und holte sich den nächsten Satz in Folge. 2:1 in Sätzen.
Im vierten Satz abermals 1:0-Führung für den Engländer. Humphries zeigte nun mit regungsloser Miene und cooler Hand ein sensationelles Scoring, was das nächste Break zur Folge hatte. 2:0. Die ersten Set-Darts ließ er zwar noch aus, doch Price war aus dem Tritt, verpasste seine Chance zum Anschluss und Humphries räumte eiskalt ab. Nächster Satzgewinn für Luke Humphries. 3:1.
Fünfzehn versus zwei Finalteilnahmen
Im 15. Major-Single-Finale von Gerwyn Price, von denen er sieben gewonnen und sieben verloren hatte, sah es zu diesem Zeitpunkt alles andere als rosig aus. Und der Strudel zeigte weiter nach unten. Es passte zum Verlauf des Matches, dass „Cool Hand“ Luke das erste Leg des vierten Satzes mit dem „Big Fish“ auscheckte. Ohne auch nur einmal mit der Wimper zu zucken, räumte Humphries die 170 ab. 1:0.
Price schüttelte den Kopf ob der Geschehnisse, schüttelte aber wohl auch den Schrecken relativ schnell ab, denn im nächsten Leg spielte er seinerseits ein High-Finish. Mit 20, Triple 19, Double 20 löschte er die 117. Und auch Leg drei holte er souverän zum 2:1. Doch Humphries glich aus zum 2:2, und so ging das Set ins entscheidende fünfte Leg. Ein ganz wichtiger Satz für beide. Sollte der Engländer das Set holen, würde er mit 4:1 davonziehen, der „Iceman“ hingegen könnte sich mit dem Satzgewinn ins Spiel zurückbringen. Beide zeigten Nerven beim Checkout, doch letzten Endes war es Gerwyn Price, der das Leg einsackte. Damit hatte er den für ihn so wichtigen Anschluss 2:3 in Sätzen geschafft. So war die Vorentscheidung erst einmal vertagt.
Auch im sechsten Satz verriet der Gesichtsausdruck des vor sich hin murmelnden Walisers, dass er mit vielen Aspekten des Abends nicht zufrieden war. Zum einen natürlich mit der Stärke seines Gegners, zum anderen mit der Parteilichkeit des Publikums, vor allem aber mit seiner eigenen Performance. Und so dauerte es nicht lange und Humphries lag erneut mit 2:0 in Führung. Doch der Weltmeister von 2021 steckte nicht auf. Obgleich es lange nach einem klaren Satzgewinn für Luke Humphries aussah, kam der „Iceman“ nochmal auf, glich zum 2:2 aus. Im Decider-Leg ließ sich der Engländer jedoch die Butter nicht mehr vom Brot nehmen, holte Leg fünf und somit auch das sechste Set.
Dadurch hatte Humphries seinen Vorsprung abermals auf zwei Sätze ausgebaut. Aber nicht nur das, er würde nur noch einen Satz zum Titelgewinn brauchen, zu seinem ersten Sieg in einem Majorturnier. Hingegen musste Price alle drei noch möglichen Sätze für sich entscheiden, um seinerseits den Turniersieg zu ergattern. Sich dessen vollauf bewusst, holte Gerwyn Price das erste Leg des siebten Satzes. Doch er spürte weiterhin den Atem des bis dahin überlegen spielenden Gegners im Nacken, denn Humphries ließ sich nicht abschütteln und erspielte den Legausgleich. Dennoch, aufgeben ist nicht sein Ding, so holte sich Price mit Leg drei in diesem Satz die Führung zurück. 2:1. Der Waliser kam jedoch schwer ins vierte Leg, während Humphries vorlegte. Dabei schien „Cool Hand“ Luke jedoch ein Scoring-Päuschen einzulegen, und so kam Price nochmal ran. Dennoch war Humphries` Vorsprung in diesem Leg irgendwie doch noch ausreichend, und so rettete er das 2:2.
Auch der siebte Satz ging über die volle Distanz. Beide kamen gut rein, beide zeigten ordentliches Scoring mit leichten Flüchtigkeitsfehlern, aber keine dramatischen Aussetzer, und plötzlich stand es 104:138. Price löschte 80 von den 104 Punkten und stand auf 24. Noch hatte er die Hoffnung, dass sein Gegner die 138 nicht ausmachen würde und er bei der nächsten Aufnahme mit der Double-12 die Verlängerung in den achten Satz erreichen würde. Doch Luke Humphries zeigte, dass er mehr als gewillt war, heute Abend seinen ersten Majortitel heimzuholen. Mit der Triple-19, Triple-19, Double-12 versenkte er die 138 und setzte zum Siegesjubel an. Obgleich er an diesem Abend „nur“ eine Checkout-Quote von 40,48% aufwies, während Price beachtenswerte 52,17% aufs Double-Out traf, hatte das große Kämpferherz des Engländers den Sieg über die Ziellinie gebracht.
Erst der zehnte Spieler, der die World Grand Prix-Trophäe gewinnt
Mit 5:2 in Sätzen hatte Luke Humphries den World Grand Prix 2023 für sich entschieden und damit den Pokal nach zehn Jahren Auslandsurlaub auch endlich mal wieder nach England geholt. Phil Taylor war 2013 der letzte Engländer, der den World Grand Prix gewann. Seither haben ein Niederländer (Michael van Gerwen), ein Schotte (Robert Thornton), ein Nordire (Daryl Gurney) und zwei Waliser (Gerwyn Price und Jonny Clayton) ihren Anspruch auf die Trophäe geltend gemacht. Nun war es also Luke Humphries, übrigens erst der zehnte Spieler, der sich in die Gewinnerliste des World Grand Prix eintragen kann, der sich zum Turniersieger gekrönt hatte.
Gerwyn Price zeigte sich bei der Siegehrung nicht als der beste Verlierer aller Zeiten, aber wenn wir ehrlich sind, muss er das ja auch nicht. Er machte darauf aufmerksam, dass dasselbe Finale in Wales gespielt, eventuell nochmal ganz anders verlaufen wäre, der „Iceman“ war sich auch sicher, der bessere Spieler des Abends gewesen zu sein, doch er gab unumwunden zu, dass sein Gegner die besseren Momente hatte und somit den Sieg verdient nach Hause nahm. So gab es denn auch die faire Gratulation des Walisers an einen überglücklichen Luke Humphries.
Und nicht zu vergessen, „Cool Hand“ Luke hatte am heutigen Abend nicht nur seinen ersten Majortitel abgeräumt, sondern auch seinen heutigen Kontrahenten vom Platz vier der Weltrangliste gestoßen. Und wie wir an dieser Stelle schon mehrfach betont haben, war das eine nicht zu unterschätzende Motivation für den coolen Engländer, der nach dem Sieg alles andere als kühl den Pokal entgegennahm.
Herzliche Gratulation an Luke Humphries!
Nächste Woche geht es bereits pfeilschnell weiter mit der German Darts Championship, die vom 13. Oktober bis 15. Oktober in Hildesheim ausgetragen wird. Bis dahin: stay bright, nice flight!