Psychischer Druck | Inhaltsverzeichnis der Doktorarbeit |
Erklärungsansätze für Leistungseinbußen in Drucksituationen
3.5 Fazit
In den letzten Abschnitten ist deutlich geworden, dass es verschiedene Erklärungsansätze für Leistungsveränderungen in Drucksituationen gibt, die das Phänomen zum Teil aus sehr unterschiedlichen Perspektiven betrachten. Auch wenn bisher nur der explicit monitoring-Ansatz intensiv empirisch bearbeitet wurde, kann doch angenommen werden, dass es nicht den einen Mechanismus gibt, der zu einer Beeinflussung der Leistung in Wettkampfsituationen führt. In Abhängigkeit der Aufgabenanforderungen (z. B. offene vs. geschlossene Fertigkeiten) und der individuellen Reaktion auf belastende Situationen sind unterschiedliche Einflüsse denkbar. Für die Ausführung geschlossener Fertigkeiten stellen die Explicit Monitoring Theories eine plausible Erklärungsrichtung dar. Mit der in Abschnitt 3.3.3 dargestellten Knotenpunkt-Hypothese (Hossner, 2004; Ehrlenspiel, 2001) wird ein Mechanismus vorgeschlagen, der Hinweise darauf gibt, wie ausführungsbezogene Aufmerksamkeitslenkung den Ausführungsprozess beeinträchtigt. Mit der Neuromotor Noise Theory wird ein Mechanismus beschrieben, der unabhängig von Aufmerksamkeitsprozessen zu ähnlichen Vorhersagen – nämlich stärkere Kokontraktionen in der ausführenden Muskulatur – führt. Die beiden Erklärungsansätze nähern sich dem Phänomen zwar aus sehr unterschiedlicher Perspektive, schließen sich jedoch nicht aus. Auch die aufmerksame Kontrolle von Bewegungen kann einen erhöhten Verarbeitungsaufwand darstellen und die Ursache für stärkeres neuromuskuläres Rauschen sein. Bisher liegen nur sehr wenige Arbeiten vor, die versuchen, Erklärungsansätze für Leistungsverschlechterungen mit Überlegungen zu funktionalen Mechanismen der motorischen Kontrolle verknüpfen.
Zur Beeinflussung der Leistung durch ausführungsbezogene Aufmerksamkeitslenkung wurden in Abschnitt 3.3 zahlreiche Untersuchungen und Überlegungen beschrieben, die diesen Ansatz aus unterschiedlichen Perspektiven stützen. Trotzdem sind auch hier noch Forschungsdefizite zu verzeichnen. So liegen bisher nur wenige Studien vor, die zeigen, dass dieser Mechanismus Leistungseinbußen in Drucksituationen verursacht und die spezifisch diesen Erklärungsansatz gegen andere abgrenzen. Weiterhin muss einschränkend angemerkt werden, dass viele der beschriebenen Untersuchungen mit wenig geübten Fertigkeiten durchgeführt wurden. Es ist fraglich, ob sich diese Ergebnisse auf den für die Sportpraxis relevanteren Fall übertragen lassen, wenn Athletinnen und Athleten eine Sportart bereits sehr lange betreiben und ungleich größere Erfahrung mit der Aufgabe haben. Neben den offensichtlichen Unterschieden zwischen Experten und Novizen bezweifelt Ericsson (2003) die Übertragbarkeit klassische Lernphasenmodelle für Expertenleistungen. Ericsson postuliert vielmehr, dass ein fehlender Zugang für aufmerksame Kontrollprozesse nur für Alltagstätigkeiten zutrifft. Dagegen arbeiten Experten im Training ständig an der Optimierung ihrer Bewegungstechniken und der Verfeinerung der zugrunde liegenden Bewegungsrepräsentationen. Dazu wird die Aufmerksamkeit häufig auf spezifische Bewegungsdetails gelenkt. Ericsson (2003) geht davon aus, dass durch die intensive kognitive Auseinandersetzung mit der Fertigkeit das Erreichen einer automatisierten und nicht mehr zugänglichen Bewegungsrepräsentation verhindert wird. In diesem Fall stellt sich die Frage, ob eine aufmerksame Hinwendung zur Bewegungsausführung ebenfalls Leistungseinbußen verursacht. Umso wichtiger erscheint es, entsprechende Fragestellungen mit hochgradig geübten Versuchspersonen zu untersuchen.
Bei vielen labororientierten Studien zur Aufmerksamkeitslenkung werden eher artifizielle Aufmerksamkeitsbedingungen genutzt. Es stellt sich daher die Frage nach der externen Validität. Beispielsweise wurden die Versuchspersonen bei Beilock et al. (2002a) bei der Ausführung einer Fußball-Dribblingaufgabe instruiert, genau darauf zu achten, ob sie den Ball mit der Fußinnen- oder Fußaußenseite berühren. Zusätzlich sollten sie dies jeweils beim Ertönen eines Zieltones verbal äußern. Hier ist zunächst unklar, welche Funktion dieser Aufmerksamkeitsfokus für die erfolgreiche Ausführung der Dribblingaufgabe haben soll. Hinzu kommt, dass die Fußball-Experten diesen Aufmerksamkeitsfokus in der Trainings- und Spielpraxis vermutlich nicht nutzen. Es erscheint fraglich, ob die im Vergleich zur Doppelaufgabenbedingung in dieser Situation schlechteren Leistungen der Fußball-Experten wirklich nur eine Folge der ausführungsbezogenen Aufmerksamkeitslenkung darstellten. Denkbar ist auch eine Ablenkung der Aufmerksamkeit von anderen wichtigen Informationen (wie die aktuelle Position im Slalomparcours), eine Störung spezifischer Funktionen von Aufmerksamkeit oder ein Einfluss durch eine sehr ungewohnte Aufmerksamkeitsstrategie. Auch Gray (2004) weist darauf hin, dass Experten während des langjährigen Übungsprozesses individuelle Aufmerksamkeitsstrategien entwickeln und dies die Untersuchung von Aufmerksamkeitsprozessen erschwert. Daraus lässt sich die Forderung ableiten, die vorliegenden Ergebnisse und vermuteten Zusammenhänge auch mit Experten und unter feldnahen Bedingungen zu prüfen.
>> Druck und Veränderungen der Bewegungsausführung