World Grand Prix – die Halbfinals, in denen mehr gekämpft als gespielt wurde

Es war kaum genug Zeit dazwischen, um sich aus deutscher Sicht von der Schwere des gestrigen Schreckens zu erholen, aber „The Show must go on!“. Wobei nicht das Endergebnis selbst die Schockstarre verursacht hatte, sondern vielmehr das „Wie“. Wie es zu dem Resultat kam, das war die eigentliche Niederlage, denn der „Iceman“ ging ab wie eine Gletscherlawine und überrollte Martin Schindler regelrecht. Und bemüht man ein weiteres Mal die Statistik, so kriegt man abermals feuchte Augen, diesmal sind es jedoch keine Freudentränen. Denn während die Bilanz des Achtelfinales den Mann aus dem brandenburgischen Strausberg noch weit vorne an der Spitze fast aller Wertungen sah, ergibt die Auflistung jener Rangplätze im Viertelfinale ein eher ernüchterndes Bild. Hier liegt „The Wall“ bei allen errechneten Größen an der kläglichen letzten Position.

Trotzdem seien hier noch mal die positiven Aspekte des Großen und Ganzen herausgehoben. Denn eine Niederlage gegen einen in Hochform agierenden Gerwyn Price, der wie von einem anderen Darts-Planeten kommend, auftrumpfte, ist keine Schande und kann auch jederzeit jedem anderen Darts-Weltklassespieler passieren. Der Waliser ist einfach in der Lage, von jetzt auf plötzlich ein solch brillantes Match ans Board zu nageln, dass der Gegner froh sein muss, wenn er für seinen Zuschauerplatz nicht nachträglich noch den Ticketpreis entrichten muss.

Und so betrachten wir es von der guten Seite und erfreuen uns einfach an der Erinnerung an die großartigen Erfolge, die Martin Schindler bis einschließlich Achtelfinale hingelegt hatte. Allein die Art und Weise, wie er an Spieltag drei das Match gegen Stephen Bunting, der ja ebenfalls gigantisch begonnen hatte, noch gedreht und siegreich zu Ende gebracht hat, war phänomenal.

Ein beliebter Blockbuster macht den Anfang

Nach diesem zuversichtlichen Resümee konzentrieren wir uns nun voll und ganz auf die heutigen Halbfinals. Denn die erforderten wirklich unsere ganze Aufmerksamkeit. Schon allein vom Tempo, aber vor allem von der Qualität, die das Auftaktmatch versprach, ließ das Spiel auch keine andere Option zu, als den hundertprozentigen Fokus.

Der Weltmeister von 2021 forderte den amtierenden Weltmeister, der aktuell auch der Weltranglistenerste ist. Eigentlich ein Duell auf Augenhöhe, denn beide sind bereits mit dem Nummer-eins-Status in der Order of Merit mehr als vertraut. Sollte es auch heute Abend ein Kopf-an-Kopf-Rennen geben? Beide Spieler haben bis hierher noch nicht ein einziges Set abgegeben, beide wurden im bisherigen Turnierverlauf noch nicht wirklich getestet. Nun würden sie sich gegenseitig testen.

Gerwyn Price verriet eine gehörige Portion zynischen Humor, als er vor dem Match gefragt wurde, welchen Gruß er seinem Kontrahenten mit auf den Weg geben wolle. Normalerweise sei das wohl „Good luck“, aber heute fiel ihm nur eines ein, was er Michael wünschen würde: „Das Schlechteste, was möglich ist, Kumpel!“

Der Waliser hat in 2023 zwar schon fantastische Turniere gespielt, aber einen bedeutenden Major-Pokal durfte er in dieser Saison noch nicht in die Höhe stemmen. Auch Michael Smith konnte nach dem WM-Triumph nicht nachlegen und ein weiteres großes Event nach Hause bringen.

Mind the gap!

Das Halbfinale war für Beide die Chance, die Lücke endlich zu schließen. Halbfinale, das bedeutete auch, dass man mittlerweile bereits vier Sets brauchte, um das begehrte Finalticket zu lösen. Heute Abend war also der Best-of-7-Sets Modus angesagt.

Und dann ging es auch schon los. Im Blockbuster unter den Matches startete der „Iceman“ in etwa so wie er den gestrigen Abend beendet hatte. Mit gleich zwei furiosen 180er im ersten Leg und dann das Break gegen Smith. Der St. Helens Rugby Club hatte gestern Abend übrigens noch 6:12 verloren, vielleicht brauchte der „Bully Boy“ zur Trauerbewältigung eine gewisse Anlaufzeit, um in sein Spiel zu finden. Nun war er aber angekommen und spielte postwendend das Re-Break. 1:1. Auch Michael Smith warf alsbald seine erste 180er, trotzdem erspielte sich Gerwyn Price das nächste Break zum 2:1. Ein paar Augenblicke sah es so aus, als wenn Price seinen Anwurf bestätigen und den ersten Satz nach Hause holen würde, doch überraschenderweise bekam er sein Paradefeld, die Doppel-20 nicht raus, traf stattdessen die Einfach-5, während Smith noch bei 155 stand. Smith bekam gleich zweimal die Chance ans Oche zurückzukehren, checkte schlussendlich die Double-13 aus und holte sich das erneute Re-Break. Das fünfte Leg war ein extrem nervöser Durchgang. Keinem der beiden wollte es gelingen, Zahlen wie die 40 oder die 8 auszuchecken – Würfe, die sie sonst im Schlaf beherrschten. Letzen Endes war es Gerwyn Price, der seinen Urwaldschrei ausstoßen durfte und den ersten Satz mit einem weiteren Break holte. Michael Smith waren hingegen nicht nur erstaunlich wenige 180er gelungen, er hatte somit auch seinen ersten Satz seit Turnierbeginn abgegeben.

Auch im zweiten Satz ging Price 1:0 in Führung, doch Smith warf sich abermals umgehend zum Ausgleich. Und während im vorigen Set ausschließlich Breaks dominierten, brachte in Satz zwei bis einschließlich Leg vier jeder seinen Anwurf durch, das bedeutete, dass auch dieser Satz über die volle Distanz gehen würde. Das fünfte Leg wiederum so ein nervöses Ding. Beide schenkten sich nichts, doch wenn man ehrlich ist, „schenkte“ das Publikum dem „Bully Boy“ diesen Satz. Denn nachdem Michael Smith Set-Darts vergeben hatte, hatte Price die Chance, die 97 auszuchecken, allerdings unter lautem Getöse mit Buhrufen und Pfiffen. Bei den ersten beiden Würfen (19, Triple 18) hielt er dem Lärm stand, doch beim Doppel, – auf der D12 ist er eigentlich sonst sehr sicher – versagten die Nerven. Er bedankte sich beim Publikum mit ironischem Daumen nach oben, während Michael Smith die Chance nutzte, die 25 auszuchecken und das Set einzutüten. 1:1 in Sätzen. Den dritten Satz begann der Engländer mit 1:0, es war sein Anwurf, den er durchgebracht hatte, dem ließ er das Break folgen. 2:0. Satzübergreifend sein viertes Leg in Folge. Gerwyn Price schien angegriffen. Sein größtes Problem zu diesem Zeitpunkt das Double-In. Er kam schwer in die Legs rein, gab Michael Smith demensprechende Längen an Vorsprung. Diese konnte der „Bully Boy“ nutzen und gewann den dritten Satz zu Null.

Der Waliser wusste, er musste sich etwas einfallen lassen. Eine gute Idee wäre zum Beispiel das erste High-Finish des Abends: also checkte Price die 109 (T19, 12, D20) aus und ging 1:0 in Führung. Auch im zweiten und dritten Leg konnte er nachlegen und gewann nun seinerseits ein Set mit 3:0. Im fünften Satz hatte sich das begeisterte, aber zeitweise auch launische Publikum etwas beruhigt, die Nerven des heute mitunter ebenfalls launischen „Iceman“ aber offensichtlich noch nicht. Im ersten Leg ging es für ihn – trotz zuvor getroffenem Bullseye – bis tief hinein ins Madhouse, aus dem er nicht mehr herausfand, während Michael Smith, der zunächst in der weit schlechteren Position war, doch noch seinen Anwurf zu Ende brachte. Gerwyn Price, der auf der Great Britischen Insel auch noch einen zweiten Nickname genießt und von vielen, u. a. von Wayne Mardle nur „Gezzy“ genannt wird, war das anvisierte Break hier nicht gelungen, aber sein eigenes Leg brachte er im Anschluss souverän heim. Der zweite Breakversuch war da schon erfolgreicher, „Gezzy“ ging 2:1 in Führung. Und nachdem der amtierende Weltmeister im vierten Leg dieses Satzes partout nicht ins Leg kam und erst mit dem achten Wurf im Doppel landete, machte Gerwyn Price den Deckel drauf und holte seinen zweiten Satz in Folge.

Die Entscheidung

3:2 für den „Iceman“, und es ging in den sechsten Satz. Price hatte sich ab dem vierten Satz zusehends stabilisiert, in jeglicher Hinsicht. Und nun endlich auch wieder eine 180 vom Waliser. Obwohl er gleich im ersten Leg des Abends mit zwei Maxima vorgeprescht war, war ihm bis hierher keine weitere 180 mehr gelungen. In Leg eins des sechsten Satzes stand Smith noch auf der 442, als der Waliser bereits auf der 24 angekommen war. Doch während Price noch kämpfte die 12 respektive die 6 rauszukriegen, wirkten die nächsten Aufnahmen des Weltmeisters beinah schon wie weggeworfen. 1:0 für Gerwyn Price. Und auch bei den nächsten Aufnahmen legte Smith zu viel Frust in seine Würfe, und so verpasste er ein ums andere Mal das Double-Out. Price blieb schon gar nichts anderes mehr übrig, als seinerseits auszuchecken und das Break zu spielen. 2:0. Für den Waliser schien in diesem Moment die schwierigste Aufgabe darin zu bestehen, die Matchdarts unterzubringen und somit endlich die Ziellinie zu überqueren. Und während Michael Smith nicht mehr in der Lage war, jene unwillkommenen Aussetzer des Gegners in einen Vorteil seinerseits zu wandeln, um im Match zu bleiben, benötigte Gerwyn Price gar sechs Matchdarts, um als erster Teilnehmer des Finales festzustehen.

Viel Kampf und auch eine Menge Krampf, doch letzten Endes war der „Iceman“ derjenige, der sich innerhalb des Matches entscheidend zu steigern wusste, während Michael Smith zunehmend vom Frust über sein eigenes Spiel überholt wurde. Und auch wenn ihm die Niederlage seines favorisierten Rugby Vereins gestern vermutlich sehr wehgetan haben mag, das eigene Ausscheiden am heutigen Spieltag war mit Sicherheit nochmal um ein vielfaches schmerzvoller.

An diesem Abend konnte keiner wirklich Fuß fassen

Es ging ins zweite Halbfinale, in dem sich Luke Humphries und Joe Cullen gegenüberstanden. Im Hinblick auf die einzigartige Double-In, Double-Out Regelung des World Grand Prix war es natürlich bemerkenswert, dass Luke Humphries von den verbliebenen vier Spielern des heutigen Abends derjenige mit der höchsten Double-In Quote war. Sagenhafte 53% hatten einen erheblichen Beitrag dazu geleistet, dass „Cool Hand“ Luke in dieser Abendsession teilnehmen durfte. Aber auch Joe Cullen konnte einigermaßen selbstbewusst ans Oche treten, denn er hatte sein letztes Duell mit dem Bullseye-Checkout beendet, wodurch sich jeder Spieler fürs nächste Match nochmal zusätzlich selbst auf die Schulter klopft.

Und schon waren wir mittendrin. Luke Humphries eröffnete mit einem Break, 1:0. Nach der Adrenalin-Überschwemmung des Vortages hatte man schon den Eindruck, als habe sich der Pegelstand bei Humphries wieder auf Normalhöhe reguliert, allerdings kam er einem angespannter als üblich vor. Auch Joe Cullen wirkte angestrengter als sonst, vor allem weil er alle Chancen hatte, mit Re-Break zu antworten, hierfür aber elf Leg-Darts benötigte, bevor er den Ausgleich erzwang. In dieser Startphase zeigten beide völlig ungewohnte Unsicherheiten. Trotzdem gelang Humphries irgendwie das nächste Break, genauso wie er es irgendwie schaffte, seinen eigenen Anwurf durchzuboxen und so mit 1:0 in Sätzen in die Pause zu gehen.

Der Engländer zeigte heute kein souveränes Spiel. Welcher? Beide!

„Cool Hand“ Luke war bis zu diesem Augenblick nicht wirklich cool, und der „Rockstar“ tat alles andere, als die Bühne zu rocken. Luke Humphries, der normalerweise am Oche keine Miene verzieht, ließ sich wiederholt zu einem sarkastischem Lächeln ob seiner eigenen Fehlwürfe hinreißen, mitunter steigerte sich diese Mimik gar zu verbalen Schimpftiraden gegen sein eigenes Agieren. Auch bei Joe Cullen meinte man in den Gedanken die Frage lesen zu können, ob er wohl demnächst bei „Dartübungen für Fortgeschrittene“ teilnehmen solle.

Zwei Darts auf Double-out weggeworfen, Joe Cullen wollte seinen Rhythmus in diesem Halbfinale partout nicht finden. Auch der zweite Satz ein einziges Fiasko. Beide spielten schlecht, aber Luke Humphries spielte ein klein bisschen weniger schlecht als sein Gegner und holte sich daher mehr oder weniger verdient auch Satz zwei. Im dritten Satz das Déjà-vu dieses Matches. Gebrauchter Tag für Cullen, auch Luke Humphries war meilenweit von seinem eigentlichen Spiel entfernt, aber irgendwie fand der immer wieder die besseren Antworten. Das gleiche traurige Bild wie im zweiten Satz und so brachte „Cool Hand“ Luke auch das dritte Set mit 3:1 Legs nach Hause.

Beide Spieler quälten sich in den vierten Satz, die Freude stand ihnen nicht wirklich ins Gesicht geschrieben. Luke Humphries holte sich das erste Leg, auch Joe Cullen brachte mal wieder seinen Anwurf durch und es stand 1:1. Dann endlich das erste High-Finish in diesem Match, Humphries checkte die 138 aus. 2:1. Und plötzlich konnte auch Cullen High-Finish, nahm die 150 (T19, T19, D18) raus. 2:2. Das zeigte Wirkung auf Humphries, zumindest für die Dauer von sechs Darts am Double-In vorbei. Joe Cullen erarbeitete sich einen Vorteil. Man muss aber auch in der Lage sein, den hart erkämpften Vorsprung, der obendrein beachtlich war, zu verteidigen. Nicht einmal das wollte dem „Rockstar“ heute gelingen, und so kam „Cool Hand“ Luke wieder ran, arbeitete sich bis auf 42 runter, dann die einfache 10 und der Matchdart saß in der Doppel-16. 4:0 für Luke Humphries.

Ein hochklassiges Spiel sieht anders aus, aber offensichtlich waren heute beide Matches von großer Nervosität geprägt, und so heißen die beiden glücklichen Sieger des Halbfinaltages: Gerwyn Price und Luke Humphries. Und das ist dann auch die Final-Paarung für den morgigen Abend.

Das Endspiel steht vor der Tür, nur noch eine Nacht schlafen und es ist soweit. Na denn, stay bright, nice flight!

World Grand Prix


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