Grand Slam of Darts – die Entscheidung, wer heute Abend das wichtige Finale bestreitet
Wir schreiben den 19. November, den großen Finaltag des Grand Slam of Darts 2023. Zu Beginn die mit freudig pulsierender Aufregung erwarteten Halbfinals. Die Paarungen versprachen schnellwürfige Spielverläufe plus eine Extra-Portion Spannung. Die erste Partie sollte darüber entscheiden, ob James Wade, den man getrost einen „Altmeister“ nennen darf, obwohl er gerade mal 40 Lenze zählt, dennoch schon eine gefühlte Ewigkeit auf dem Darts-Circle und davon unfassbar viel Zeit in den Top-16 verweilt, in die er übrigens nach minimal kurzer Auszeit umgehend wieder retour geschippert ist, in seinem 82. Match allein beim Grand Slam, ein weiteres Major-Finale seiner Karriere erreichen würde oder ob Luke Humphries sich die Chance wahrte, die Anzahl seiner Major-Triumphe gleich im ersten Erfolgsjahr zu verdoppeln. Beide Halbfinalakteure, sowohl Humphries (der plausiblen Stringenz folgend), aber auch „The Machine“, der bereits so viele Majors für sich entschieden hatte, konnten den Grand Slam-Siegerpokal noch nicht in die Höhe stemmen. Gleiches Pokaldefizit galt auch für die zwei nachfolgenden Halbfinalteilnehmer, das bedeutete, heute Abend würde auf jeden Fall ein neuer Name in die Siegerliste eingetragen.
„I`m still standing“
Der Kultsong von Elton John nicht nur die Einlaufmusik von James Wade, sondern auch die erklärte Philosophie des durchaus eigentümlichen Engländers, der wie kaum ein anderer zeigt, dass er weiß, was er will und sich auch keinen Maulkorb umhängen lässt. Vor allem wünscht sich der ehemalige Automechaniker mehr mediale Aufmerksamkeit – o.k., James, we`ll try our best! Grund für maximale „attention“ gibt er uns sowieso reichlich und erfreulicherweise sind es in erster Linie auch die sportlichen Anlässe. Mal sehen, ob heute der nächste Beleg hinzukam.
„The Machine“ ist nicht gerade für langsame Wurfbewegungen bekannt, doch die Wurfgeschwindigkeit von „Cool Hand“, Luke kann man getrost mit dem Attribut „schwindelerregend“ versehen. Die ersten vier Durchgänge teilten sie sich, wobei „Cool Hand“ Luke im dritten Leg mit dem High-Finish, 142 (T20, T20, D11) schon ein erstes kleines Ausrufezeichen gesetzt hatte. 2:2. Im fünften Leg machte auch James Wade klar, dass er heute kein überflüssiges Fragezeichen hinterlassen wollte, Break zum 3:2. Leg sechs: Humphries verpasste gleich dreimal die Möglichkeit, sich das Break umgehend zurückzuholen, Wade hingegen stabil auf „seiner“ Double-10, 4:2. Siebtes Leg, Formsache für Luke Humphries, Anschluss zum 3:4, doch immer noch lag er ein Break hinten. Im achten Durchgang verhinderte bereits der erste Pfeil, dass „The Machine“ die 161 ausmachte, das Leg holte er trotzdem. 5:3. „Fröhliches am Ziel vorbeiwerfen“ spielten beide im neunten Leg. Vier Fehlversuche von Wade, auch „Cool Hand“ Luke bekam unverhofft eine zweite Aufnahmemöglichkeit, bei ihm saß der vierte Leg-Dart, 4:5. Luke Humphries, der gerade in seinem letzten Interview wieder gezeigt hatte, wie aufgeräumt er mittlerweile ist, wie bodenständig er zur Sache geht, und wie reflektiert er sein eigenes Auftreten sieht, ließ auch im zehnten Durchgang wieder zwei Break-Möglichkeiten liegen, aber da James Wade seine vorübergehende Checkout-Schwäche ebenfalls noch nicht überwunden hatte, schaffte es Luke im „Cool Hand“-Style, den nächsten Leg-Pfeil doch noch im Ziel unterzubringen und damit rechtzeitig zur Pause den Ausgleich herbeizuführen.
„The Machine“ verliert an Dampf, würde er noch genügend Heizkraft in Reserve haben, um nachzulegen?
Humphries hatte seine Tagesform noch nicht wirklich gesteigert, doch Wades zeitweilige Konstanz ließ augenscheinlich nach. Logische Konsequenz dessen: trotz weiteren dreizehn(!) frappant verschossenen Checkout-Möglichkeiten, zog der coole Luke auf 8:5 davon. Die Höhe des Vorsprungs hatte er irgendwie seinem Kontrahenten zu verdanken, aber natürlich darf man auch nicht verschweigen, dass seine hervorragenden Triple-Treffer im Vorfeld Humphries auch ausreichend Zeit gewährten, um es sich leisten zu können, so viele Leg-Darts am Ziel vorbei zu pfeffern, ohne dass es unmittelbaren Schaden nahm. Die Darts von „The Machine“ hingegen zu dieser Zeit im völligen Blindflug unterwegs, schienen regelmäßig in ein Luftloch gefallen zu sein, um dann irgendwo weit südlich, östlich, westlich oder auch nördlich vom Ziel anzukommen. Im vierzehnten Durchgang endlich wieder ein gelungener Landeanflug von James Wade, das High-Finish, 134 (T19, T19, D10) gelöscht und es hieß 6:8. Auch in Leg Fünfzehn bewies Humphries, dass er ebenfalls in der Lage war, im Match ungewöhnlich viele Darts neben das Doppel zu setzen. Diesmal nutzte Wade diesen Fakt, Anschluss zum 7:8. Gleiche Beweisführung in Durchgang Sechzehn, Ausgleich 8:8. Luke Humphries zeigt inmitten einer Partie selten Reaktion, doch heute war die eine oder andere fällig. Ein leichtes Kopfschütteln, ein ironisches Lächeln, ob seiner eigenen Fehler – regelrechte Gefühlsausbrüche für den stets cool agierenden Engländer. Und es war höchste Zeit für ihn, mal wieder das Blatt selbst in die Hand zu nehmen. Mit High-Finish, exakt Hundert, ging es zum 9:8, und dem ließ Humphries das 10:8 folgen. Doch auch der schwächelnde James Wade wollte sich nicht einfach geschlagen geben, nahm seinem Kontrahenten nochmals den Anwurf ab, 9:10. Deswegen schaltete Luke Humphries erstmals in diesem Spiel einen deutlichen Gang nach oben. Die nächsten zwei Legs im Eiltempo, und es hieß 12:9 für ihn. Wade ungebrochen im Kampfes-Modus, 10:12.
Dann ging es schnell – aufwärts für den einen, abwärts für den anderen
Dazwischen Durchgang 24 mal eben mit zwei Würfen aufs Doppel ausgemacht (D20, D6 – egal, so kann man die 52 auch löschen), und „Cool Hand“ Luke räumte vier Legs in Folge ab. Nun war es doch reichlich rasch gegangen und so hieß es binnen weniger Atemzüge, 16:10 für Luke Humphries. James Wade wasn`t still standing, zumindest nicht im Finale dieses Grand Slams. Stattdessen stand „Cool Hand“ Luke als erster Finalist fest.
Keine Zeit zum Durchatmen, denn flugs ging es weiter mit Rob Cross und Stephen Bunting. Im zweiten Match des Nachmittags traten somit zwei ehemalige Weltmeister gegeneinander an. Beide waren von ihren gestrigen Gegnern nicht bis zum Äußersten gefordert worden, aber ins Halbfinale hineindösen funktioniert in der Tat auch nicht, und so mussten Cross und Bunting trotz alledem solides Handwerk auspacken, um heute zu dieser Zeit, an diesem Ort, an dieses Oche, vor dieses begeisterte Publikum zu treten.
„Hot Hot Hot“ von „Arrow“ – lateinamerikanische Samba-Klänge hatten auch die komplette Vorrunde eingeführt, doch diesmal geleiteten sie nur Rob Cross auf die Bühne. Sein Wasserhaushalt war auch sichergestellt, und so konnte es losgehen. Doch zu Beginn des Matches tanzte erstmal Bunting metaphorisch Samba mit seinen Darts und auch mit seinem Gegner, denn er nahm diesem den Anwurf ab und ging kurz darauf 2:0 in Führung. Kein flottes Tänzchen, aber ein gediegener Kampf mit sechs Leg-Darts brachte Rob Cross den Anschluss, 1:2. Dem ließ „Voltage“ das Break und die Bestätigung dessen folgen, und so hieß es vor der ersten Pause 3:2 für den Spieler, der vorher 0:2 hinten gelegen hatte. „The Bullet“ startete nach der ersten Unterbrechung, wie er das Match begonnen hatte, mit zwei Leg-Gewinnen am Stück, ersterer gar mit High-Finish 121 (Bullseye, T13, D16), ging somit wieder in Führung 4:3. Auch Rob Cross ließ der Pause die identisch gleiche Vorstellung wie zu Matchbeginn folgen, allerdings nur ergebnistechnisch. Das achte Leg holte er mit High-Finish, 108 (T19, 19, D16), 4:4. Durchgang Neun, Pflichtprogramm zum 5:4, und im zehnten Leg dann das erste kleine Highlight des Matches: sieben „Voltage“-Würfe lang durfte das Anzeigen der potentiellen „9“ auf der Grafiktafel, unmittelbar außerhalb des real erzielten Punktestands, die Sehnsucht nähren, doch der achte Dart landete unmittelbar außerhalb des real zu treffenden Triple-Feldes und zerschmetterte so alle Hoffnung auf das perfekte Spiel. Cross holte das Leg trotzdem, 6:4.
Weltmeister unter sich – mit dem gleichen Matchplan im Gepäck
Der Anfang der dritten Session dieses Duells verlief für Bunting abermals nach Schema-X, erst holte er sich das 5:6, dann den Ausgleich zum 6:6. Im zwölften Durchgang stand sein Gegner gar noch auf der 209, als sich „The Bullet“ gedanklich bereits im nächsten Leg befand. Dennoch hatten sich die beiden in der letzten Pause wohl geringfügige Änderungen im Drehbuch des Spielverlaufs ausgedacht. Denn nachdem „Voltage“ abermals den dritten Durchgang der nächsten Session für sich entschieden hatte und mit 7:6 in Führung gegangen war, schnappte sich Bunting ohne zu zögern den Ausgleich zurück, auch hier stand Cross noch auf der 210, während „The Bullet“ ausmachte. Witzig, dass Bunting hierfür den identischen Ausgang (62 mit T10, D16 gecheckt) wählte, den sein Kontrahent im Leg zuvor genommen hatte. Im Anschluss zog Rob Cross mit vier Legs in Folge – inklusive High-Finish, 110 (T20, 18, D16) im sechzehnten Durchgang – auf 11:7 davon. Stephen Bunting konnte heute nicht den verbissenen Erfolgswillen an den Tag legen, der ihn gestern noch ausgezeichnet hatte. Der uneingeschränkte Ehrgeiz, das Finale dennoch zu erreichen, war natürlich trotzdem da, und so grätschte er in den Lauf seines Kontrahenten, erkämpfte sich das 8:11, und auch das 9:11 ward redlich verdient. Rob Cross war jedoch der Ansicht, zwei Leg-Gewinne hintereinander seien als Aufholpotential völlig ausreichend, stoppte diesen Versuch des Gegners wieder und servierte sich selbst das 12:9. Beim 13:9 wusste „Voltage“ mal wieder richtig zu beeindrucken, die 127 löschte er mit Triple-20, 17, und auch der Treffer im Bullseye saß. In Leg 23 der Wurf auf Tops absolute Pflicht für Stephen Bunting, um nicht ausweglos ins Hintertreffen zu geraten, doch auch die Double-20 war ihm heute nicht gesonnen. Damit konnte Cross – abermals Dank einer Dreier-Serie – seine Führung auf 14:9 ausbauen. Leg 24: ein weiteres verzweifeltes Aufbäumen von „The Bullet“, und Bunting jr. schöpfte nochmals große Hoffnung. 10:14. Durchgang 25: wieder nahm Rob Cross dem jungen Bunting-Nachwuchs die Butter vom Brot, souverän das Leg ausgecheckt und es hieß 15:10.
Noch ein letztes Aufbäumen
„Voltage“ war ein Leg-Gewinn vom Finale entfernt, Stephen Buntings Chancen auf sein erstes PDC Major-Finale rückten in weite Ferne. Doch kein Weg war „The Bullet“ zu weit. Obwohl er kräftemäßig relativ erschöpft wirkte, gab ihm die freundliche Unterstützung des Publikums und mit Sicherheit auch die per Telepathie gesandten Kräfte seines Sohnemanns nochmal den entscheidenden Motivationsschub. Irgendwie bescherte ihm auch der Kontrahent plötzlich komplett ungewollte Schützenhilfe, denn der hatte mittlerweile eine gewisse Schwäche aufs Doppel-Segment für sich entdeckt. Und so mobilisierte Bunting nochmals ungeahnte Kräfte und frisch geweckte Treffsicherheit. Zu diesem Zeitpunkt völlig unverhofft raffte er nochmal drei Durchgänge zusammen und dann hieß es, begleitet von stolzen Freudengesten des Juniors und davon angesteckt auch unter dem Jubel der Menge, auf einmal 11:15, 12:15 und schließlich 13:15. „The Bullet“ war vollkommen unerwartet wieder im Flow, während Rob Cross auf einmal doch noch in den Bunting-Fluten unterzugehen drohte. Bevor „Voltage“ in überraschende Seenot geraten würde, entschied er sich die rettenden Schwimmflügel über den Wurfarm zu streifen und brachte Leg 29 mit dem letzten Dart auf Double-3 rechtzeitig und damit auch relativ sicher nach Hause. 16:13 für Rob Cross, und es war angerichtet für ein hochspannendes Finale, das in weniger als drei Stunden starten sollte.