Hungarian Darts Trophy 2024: Cor Dekker schreibt die Schlagzeilen – zuerst unsagbar dämlich verrechnet, dann liefert er den unfassbar grandiosen Neun-Darter
Spieltag Zwei in Budapest, heute kämpften die Teilnehmer bereits um den Einzug ins Achtelfinale der Hungarian Darts Trophy, mittlerweile waren auch die gesetzten Protagonisten im Event Center, BOK Sportcsarnok, eingetroffen. Schon am Nachmittag waren abermals drei Deutsche am Start: Ricardo Pietreczko und Martin Schindler als gesetzte Spieler, zudem Florian Hempel, der gestern gegen einen augenscheinlich katastrophal abbauenden Callan Rydz, ein weiteres bedeutsames Comeback hingelegt hatte. Insgesamt waren noch immer vier deutsche Profis im Turnier, der „German Giant“ Gabriel Clemens, hatte gestern den niederländischen „Titan“ Dirk van Duijvenbode, mit überzeugender Performance schier mühelos zu Fall gebracht und sollte es am Abend mit dem Weltranglistenersten, Luke Humphries, zu tun bekommen.
Der erste Auftritt von „Pikachu“ seit dem Finale in Antwerpen
Auch in der zweiten Runde galt der Best-of-11-Legs Modus, Ricardo Pietreczko und Niels Zonneveld waren die ersten, die versuchten, mit sechs Leggewinnen das Achtelfinale zu erreichen. Mit Freude entsann man sich dem jüngsten European Tour Event, als Ricardo Pietreczko mit aller Entschlossenheit bis ins Finale vordrang, auf dem Weg dorthin gar den amtierenden Weltmeister und World Matchplay Champion, Luke Humphries, ausschaltete, und erst im Endspiel dem extrem formstarken Dave Chisnall, dem er bis zuletzt ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen geboten hatte, mit 6:8 unterlag. Niels Zonneveld bekam gestern vom jungen Polen Sebastian Bialecki einen Kampf auf Augenhöhe geliefert und setzte sich erst im Decider durch.
Ricardo Pietreczko hatte das Ausbullen gewonnen und holte das erste Leg souverän nach Hause, 1:0. In Durchgang Zwei war Niels Zonneveld bereits mit dem 13-Darter, inklusive gekonntem Set-up-Shot (140), zur Stelle und glich aus, 1:1. Auch „Pikachu“ hatte in Leg Drei die optimale Vorbereitung zur Hand, nachdem er diese Aufnahme mit der Triple-1 begonnen hatte, waren die 120 gelöschten Punkte besonders wertvoll. Beim anschließenden Gang ans Oche wischte er auch die verbliebene 40 vom Board und ging wieder in Front, 2:1. Wie im vorausgegangenen Leg startete Niels Zonneveld auch in Durchgang Vier mit dem Maximum, diesmal hatte er nicht nur den Anwurf, sondern spielte auch konsequent zu Ende, 2:2. In Leg Fünf zauberte Ricardo Pietreczko das High Finish, 104 (T19, 15, D16) aus dem Hut, der Kunstgriff bescherte ihm das 3:2. Einen noch geschickteren Augenschmaus servierte der gebürtige Berliner gar im sechsten Durchgang, hier war es der 12-Darter, mitsamt High Finish, 81 – 180 – 134 – 106 (19, T17, D18), der ihm zum Break verhalf. Damit setzte sich Ricardo Pietreczko nun mit dem zwei-Punkte-Vorsprung vorne ab, 4:2. Aber eine solche Distanz erwies sich für Niels Zonneveld in keiner Weise als Problem, im siebten Durchgang packte er den 11-Darter aus: 100 – 180 – 140 – 81, hatte postwendend das Re-Break erzielt und war schon wieder am Gegner dran, 3:4. Der achte Durchgang offenbarte in dieser Partie möglicherweise den steinigsten Weg für den 26-Jährigen aus dem niederländischen Uitgeest, doch „Pikachu“ konnte dies nicht nutzen, auch bei ihm lag zu viel Geröll auf der Strecke, somit bestätigte Niels Zonneveld das eben errungene Break und glich neuerlich aus, 4:4. Damit war alles wieder auf Anfang gestellt. 15 Pfeile später hatte auch Ricardo Pietreczko sein begonnenes Leg erfolgreich über die Ziellinie getragen, Zonneveld verharrte da noch auf der 208. Aber im zehnten Durchgang war der Niederländer wieder zur Stelle, 14 ausgezeichnete Treffer, darin enthalten der optimale Set-up-Shot (134), schon war der Spielstand wieder ausgeglichen, 5:5. Es ging in den Decider, den Ricardo Pietreczko begann. Niels Zonneveld hatte sich im Endspurt mit der 135 zwar ideal auf 40 gestellt, doch diese Vorbereitung kam zu spät. Beim Versuch, das 117er-Finish herauszunehmen, hatte Ricardo Pietreczko einen Matchdart vergeben, das konnte den mittlerweile Wahl-Hannoveraner jedoch nicht aus der Fassung bringen, er bekam eine weitere Möglichkeit ans Oche zu treten, visierte die Double-10 an und der erste Pfeil saß. 6:5, damit hieß der erste Sieger der zweiten Runde: Ricardo Pietreczko.
Bitte anschnallen! – Gian van Veen und Keane Barry gehen an den Start
Es folgte die Begegnung zweier vielversprechender Nachwuchskünstler: Gian van Veen versus Keane Barry. Keane Barry hatte gestern dem Schotten, Darren Beveridge, kaum eine Chance eingeräumt, der 6:2-Erfolg sprach für sich. Gian van Veen war da heute schon ein anderes Kaliber, doch auch hier konnte sich der talentierte junge Ire durchaus Möglichkeiten ausrechnen. Gian van Veen hatte den ersten Anwurf, begann gleich mit der 180, 14 Darts später stand es 1:0 für ihn. Keane Barry hielt das Tempo mit, auch er brachte das begonnene Leg in Durchgang Zwei nach Hause, 1:1. Gian van Veen hatte hier seine Break-Gelegenheiten, doch wie schon im ersten Leg, offenbarte der Niederländer abermals anfängliche Unsicherheiten aufs Doppel. Zwei Aufnahmen brauchte Gian van Veen auch in Durchgang Drei, um seinen Anwurf zu sichern, das 129er-Finish war zunächst noch an der Double-18 gescheitert. Beim nächsten Gang ans Oche reduzierte er die verbliebene 18 vorsichtshalber um zwei Zähler, um auf die Double-8 zielen zu können, aber dann war das 2:1 eingetütet. Keane Barry ließ sich nicht abhängen, im vierten Durchgang balancierte er das Zwischenergebnis wieder aus, 2:2. Gian van Veen wollte seinem Kontrahenten aufzeigen, wo der Hammer hängt, servierte im fünften Leg den 11-Darter: 100 – 140 – 180 – 81, und schritt ein weiteres Mal vorne weg, 3:2. Diesmal sollte es dem 22-jährigen Iren, mit dem Nickname „Dynamite“, jedoch nicht gelingen, den Gegenschlag zu zünden, um damit den Spielstand wieder ins Gleichgewicht zu wippen, sein Kontrahent zückte im sechsten Leg den 14-Darter und kassierte das Break ein, 4:2 für Gian van Veen. Im siebten Durchgang war der gleichaltrige Niederländer aus Poederoijen, nah dran, das 114er-Finish zu löschen, statt in Tops landete der Pfeil im Aus, mit der nächsten Aufnahme ließ er dann aber nichts mehr anbrennen und bestätigte das vorausgegangene Break, 5:2. Keane Barry war noch nicht geschlagen, verpasste zwar in Leg Acht seinerseits nur um hauchdünne Millimeter den „Big Fish“, machte dann aber bei der nächsten Aufnahme kurzen Prozess mit der verbliebenen 25 und verkürzte nochmal auf 3:5. In Durchgang Neun ließ Gian van Veen ganze fünf Matchdarts liegen, das bestrafte sein Gegenüber mit dem erneuten Break, Keane Barry hatte den Anschluss wieder gefunden, 4:5. Eigentlich hätte der junge Ire nachfolgend nurmehr seinen Anwurf halten müssen, um sich zumindest auch noch in den Decider zu retten, aber Gian van Veen machte diese Hoffnung zunichte, indem er mit sechs perfekten Darts ins zehnte Leg startete. Ein Neun-Darter wurde es nicht, aber das tangierte den Niederländer vermutlich nur peripher, mit insgesamt 12 Würfen hatte er den 6:4-Sieg im Sack.
„Let Me Entertain You“ – das Budapester Publikum fühlte sich in jedem Fall entertained
Im Saal wurde es unruhig, allerdings sehr wohl in freudiger Weise, das Budapester Publikum erwartete den Lokalmatador, der als einziger Ungar noch im Turnier war: Alberto Bezjian wurde mit reichlich Euphorie empfangen, er hatte sich gestern, mit viel Gestik und Show, gegen Landsmann András Csόka durchgesetzt. Auch heute hatte sich Alberto Bezjian den Walk-on Song „Let Me Entertain You“ (von Robbie Williams) ausgesucht, ob er die Menge jedoch ein weiteres Mal mit dem entsprechenden Matchresultat entertainen könnte, durfte in Frage gestellt werden, denn sein heutiger Gegner war kein lokaler Qualifikant, sondern hieß Ryan Searle. Im ersten Durchgang machte Ryan Searle, der Anwurf hatte, klar, wo sich die Messlatte befindet, das High Finish, 103 (T20, 3, D20) gereichte ihm zum 1:0. Im zweiten Durchgang bekamen die Zuschauer in der Halle der Multifunktionsarena BOK Sportcsarnok, nochmal richtig heftigen Grund zum Jubeln, ihr Local Hero nutzte die zwei ausgelassenen Checkout-Darts seines Gegenübers, fegte seinerseits die 68 vom Board und rettete so seinen Anwurf, 1:1. Die Menge feierte, als wenn Alberto Bezjian schon das Spiel gewonnen hätte, aber Wertschätzung, auch für die kleinen Geschenke, drückt sich eben in Ungarn nochmal intensiver aus. Im dritten Durchgang präsentierte Ryan Searle im Endspurt die 170, nein, nicht als „Big Fish“, mit dem er das Leg ausmachte, sondern als Set-up-Shot. Die verbliebene 40 löschte er mit dem 14. Wurf, damit stand es 2:1. Auch im vierten Leg brauchte der 36-Jährige, der aus dem englischen Wellington stammt, welches sich in der Grafschaft Somerset befindet, lediglich 14 Pfeile, um auf 3:1 davonzuziehen. In den darauffolgenden drei Legs schaltete Ryan Searle dann ein oder zwei Gänge runter, hier ließ er sich weit mehr Zeit, um die Legs auf sein Konto einzuzahlen, – auch ein „Heavy Metal“ lässt die metallischen Klänge wohl nur so laut ertönen, wie er muss. Was natürlich nichts daran ändern konnte, dass der 6:1-Erfolg für Ryan Searle kurze Zeit später in trockenen Tüchern war. Alberto Bezjian hat seinen zweiten Auftritt bei diesem Turnier trotz alledem gebührend genossen, dennoch war nun auch der letztverbliebene ungarische Vertreter an der Endstation angelangt und musste aussteigen.
Florian Hempel macht es nochmal extrem spannend
Im Anschluss wurde es vor allem aus deutscher Sicht wieder extrem spannend: Florian Hempel, der gestern am Rande einer Niederlage angekommen, die Wendung geschafft und einen komplett entnervten Callan Rydz nach Hause geschickt hatte, wurde in dieser Runde von Daryl Gurney gefordert. Daryl Gurney hatte das Ausbullen für sich entschieden und begann auch stark, mit dem gekonnten 108er-Set-up-Shot, bei dem er den ersten Fehltreffer auf die einfache Eins, nachfolgend mit Triple-19 und Bullseye optimal kompensierte. Die verbliebene 32 ward mit dem 14. Pfeil ausgemacht und der Nordire ging mit 1:0 in Führung. Florian Hempel musste im zweiten Durchgang bei seinem Anwurf ebenfalls relativ wenig Aufwand investieren, der Gegner noch nicht in Sichtweite, das glich der Deutsche zum 1:1 aus. Dabei wäre ihm auch noch beinah das 154er-Finish geglückt, nur Tops stellte sich quer. In den nachfolgenden zwei Durchgängen kämpften beide Akteure mit Unsicherheiten aufs Doppel, doch keiner konnte aus dem Missgeschick des anderen Kapital schlagen und dessen Anwurf auch nur im Ansatz gefährden, 2:2. Im fünften Durchgang legte Daryl Gurney nochmal eine Schippe drauf und startete mit sechs perfekten Darts. Letztendlich war es der 12-Darter, der Daryl Gurney das 3:2 bescherte. Zehn Versuche mehr brauchte Florian Hempel im sechsten Leg, um wieder auszugleichen, auf beiden Seiten war es ein einziger Irrweg durch die Gefilde der Fehlpässe, mitsamt Überwerfen, 3:3. Auch Daryl Gurney konnte in den anschließenden Durchgängen kaum überzeugen, trotzdem holte er sich in Leg Sieben seinen Anwurf und in Leg Acht auch noch den seines Kontrahenten, 5:3. In Durchgang Neun startete „SuperChin“ dann aber wieder stark, nur einer war stärker und das war Flo Hempel. Mit 14 Pfeilen sicherte sich der Wahl-Kölner das umgehende Re-Break und war wieder am Gegner dran, 4:5. Und als Florian Hempel das eben errungene Break im zehnten Durchgang auch noch bestätigte, war der Ausgleich tatsächlich wieder hergestellt. Einmal mehr hatte es der ehemalige Handballprofi geschafft, einen 3:5 Rückstand zumindest noch in einen spannenden Decider-Thriller zu wandeln. 5:5, es ging über die volle Distanz. Daryl Gurney hatte im Entscheidungsleg den Anwurf, servierte sich mit der 140 auch eine ansprechende Grundlage, aber als es auf die Zielgerade zuging, wollte der nächste Matchdart abermals nicht ins Doppel. Doch Florian Hempel hatte immerhin noch die 145 vor der Brust, das war auch kein Zuckerschlecken. Mit der nächsten Aufnahme traf der gebürtige Dessauer die 19 und zwei Triple-Felder, allein es waren nicht die Triple-Segmente, die er so dringend benötigt hätte. Statt in der Triple-19 versenkte er beide Pfeile in der Triple-3. Zusammen addiert ergab das 37 ausradierte Punkte, die von der 145 subtrahiert wurden, das Ende vom Lied lautete: 109 Rest. Daryl Gurney bekam seine nächste Möglichkeit, er hämmerte den Dart in die Double-18, damit stand das Endergebnis fest: 6:5-Sieg für Daryl Gurney über Florian Hempel.
Das Spiel mit einem Sieger und einem Gewinner
Rasant ging es weiter, man hatte keine Zeit, dem Ausscheiden von Florian Hempel lange hinterher zu trauern, schon betraten Stephen Bunting und Cor Dekker die Bühne im BOK Sportcsarnok in Budapest. Der lokale Qualifikant, János Végső, war in der Lage, Cor Dekker in der ersten Runde ein wahres Match zu liefern, Respekt wie achtbar sich der gebürtige Budapester hier aus der Affäre gezogen hatte. Nicht zuletzt war es die Erfahrung, die Cor Dekker dann doch noch zum sicheren Sieg verhalf.
Den ersten Anwurf hatte auch heute Cor Dekker, die ersten zwei Durchgänge teilten er und Stephen Bunting gerecht unter sich auf, 1:1. Im dritten Leg verschleuderte der Norweger, der in den Niederlanden geboren ist, was auch sein heutiges ganz in Orange gehaltenes Trikot nochmal augenscheinlich unterstrich, vier Checkout-Darts, das musste man Stephen Bunting nicht mehrmals sagen, der griff sich das Break zum 2:1. Stephen Bunting bereitete sich im vierten Leg mit der 138 die Acht auf, traf beim nächsten Gang ans Oche die Double-13 anstatt der Double-4 – die Experten nennen es „Goldilocks“, ich nenne es „Ups!“. Das anvisierte Doppel-Segment schoss „The Bullet“ bei der nächsten Aufnahme aber dann doch noch ab und baute seinen Vorsprung auf 3:1 aus. Auch Cor Dekker versenkte seinen Pfeil im anschließenden Durchgang im falschen Doppel, doch bei ihm war es kein versehentlicher Fehltreffer, er hatte sich schlicht und einfach schon vorher verrechnet. Die Restforderung von 102 Punkten probierte er mit Triple-20, 9 und Double-16 loszuwerden, das wäre fast der ideale Weg gewesen, hätte er anstelle der einfachen Neun, die einfache Zehn abgezogen. Als der Norweger das Missgeschick bemerkte, sprach sein Gesichtsausdruck Bände, das Mitleid des Gegners hielt sich in Grenzen. Jener Fauxpas eröffnete Stephen Bunting die Gelegenheit, seinen 13-Darter doch noch zu vollenden, 4:1. Cor Dekker grübelte im sechsten Durchgang vermutlich noch darüber nach, wie ihm ein solcher Rechenfehler unterlaufen konnte, da hielt Stephen Bunting schon den nächsten 13-Darter parat, die 170 als Set-up-Shot machte den Leggewinn besonders stilvoll, 5:1. In Durchgang Sieben war es aber ausgerechnet Cor Dekker, der für das aufsehenerregendste Highlight – und zwar diesmal im positiven Sinne – des bisherigen Turnierverlaufs sorgte: 180 – 180 – 141. Cor Dekker lieferte den ersten 9-Darter eines Norwegers bei einem PDC European Event und schrieb damit Geschichte. Und was das für ein grandioser Neun-Darter war. Für die 141 wählte er obendrein einen unkonventionelleren Weg: Triple-20, Triple-15 und Double-18, das sieht man wirklich nicht alle Tage! Auch wenn dies der letzte Leggewinn des Cor Dekker an diesem Tag war, er wog eine Menge, 2:5. Im achten Durchgang verpasste Cor Dekker dann das Bullseye, beim Versuch das 128er-Finish loszuwerden, aber selbst das konnte seine Stimmung nicht mehr gänzlich trüben. Stephen Bunting holte sich derweil die Aufmerksamkeit der Regie zurück und deckelte das Match zum 6:2-Erfolg. Stephen Bunting hatte Cor Dekker besiegt, aber irgendwie fühlte es sich an, als seien beide Protagonisten an diesem Nachmittag in gewisser Weise Gewinner.
„Shaggy“ – der zottelige Underdog beißt nochmal kräftig zu
Florian Hempel war im Spiel davor ja ausgeschieden, aber Deutschland hatte immer noch ein heißes Feuer im Eisen. Noch galt es Geduld zu haben, Martin Schindler würde erst die vorletzte Partie dieser Session bestreiten, da sollte er Jim Williams fordern. Vorerst stand jedoch das Match eines anderen Williams auf dem Programm: Scott Williams, der sich mit dem äußerst formstabilen Chris Dobey duellieren sollte. Scott Williams hatte sich gestern Abend einen unsäglich spannenden Fight mit Luke Woodhouse geliefert, es hätte in beide Richtungen gehen können, aber schlussendlich schlug das Siegerpendel auf „Shaggys“ Seite, Scott Williams schnappte sich den Decider und zog so das Ticket für den heutigen Nachmittag.
Chris Dobey mit dem ersten Anwurf, auch das erste Leg strich er mühelos ein, 1:0. Scott Williams hatte im zweiten Durchgang 14 treffsicher platzierte Würfe parat, vor allem mit dem 94er-Finish, das er mit zwei Pfeilen, zum einen in der Triple-18 und zum anderen in der Double-20, löschte, wusste Scott Williams zu beeindrucken, 1:1. Gediegene Doppelschwächen förderten beide in Durchgang Drei zutage, dabei hätte Chris Dobey hier noch fast den „Big Fish“ geangelt. Statt im Bullseye landete der Versuch in der einfachen Sieben, nur die 43 Restpunkte avancierten zum Drama. Letztendlich gab es aber dann doch das Happy End für „Hollywood“, er erhöhte auf 2:1. In Leg Vier hatte Chris Dobey zum zweiten Mal in Folge die Möglichkeit, den „Big Fish“ aus dem Pfeile-Ozean zu ziehen, diesmal war es ein My, das den Wurf aufs Bullseye verdarb. Da passte kein Blatt dazwischen, trotzdem verlor Chris Dobey das Leg noch, weil er hier keine weitere Gelegenheit bekam, auch die 25 noch quitt zu werden. Stattdessen vollendete Scott Williams seinen 14-Darter und glich wieder aus. In den nächsten zwei Durchgängen brachte abermals jeder sein begonnenes Leg nach Hause, wobei Scott Williams wiederum nur 14 Versuche benötigte, 3:3. Ab Durchgang Sieben schaltete der 34-Jährige aus dem englischen Boston einen gehörigen Gang nach oben, und während Chris Dobey der nächste Wurf aufs Bullseye misslang, packte Scott Williams das High Finish aus. 122 Punkte eliminierte er mit Triple-18, 18 und Bullseye, das war das Break zum 4:3. Chris Dobey antwortete im achten Leg mit beachtenswertem 94er-Checkout und demnach auch mit dem sofortigem Re-Break, 4:4. Die 14 war mittlerweile zur Lieblingszahl von Scott Williams avanciert, denn obwohl er in Durchgang Neun das 127er-Finish noch ausließ – das Bullseye stand im Wege – es war exakt jene identische Wurfanzahl, die ihm das neuerliche Break zum 5:4 bescherte. Und auch wenn Scott Williams im zehnten Leg einen Pfeil mehr benötigte, diesmal bestätigte er das eben erzielte Break. 6:4 für Scott Williams, der hoch gehandelte Favorit, Chris Dobey war raus, „Shaggy“, der „zottelige Underdog“, war eine Runde weiter. Kleines Bonmot am Rande: Scott Williams hat im anschließenden Interview seinem guten „Mate“, Rob Cross zum Geburtstag gratuliert: „Ich kann`s nicht glauben, dass du heute 34 geworden bist, du siehst aus wie 52.“ Britischer Humor unter Kumpels eben!
Sich im Verlaufe des Spiels nochmals signifikant zu steigern, bis man die „Wall“-Höhe erreicht hat – das ist die große Stärke des Martin Schindler
Und dann war es wirklich soweit: Martin Schindler stand zum Einlauf bereit, auf ihn wartete der andere Williams, mit Vornamen Jim. Jener Jim Williams hatte in der gestrigen Begegnung mit Alan Soutar regelrecht kurzen Prozess gemacht und hoffte an diese Leistungen anknüpfen zu können, während Martin Schindler, zumindest in jüngster Vergangenheit, auf nichts essentiell Vorzeigbares zurückgreifen konnte.
In den ersten vier Durchgängen lieferten sich Martin Schindler und Jim Williams ein Kopf-an-Kopf-Duell, keiner konnte den Anwurf des anderen ernsthaft gefährden, keiner spielte wirklich schlecht, es konnte aber auch keiner so richtig überzeugen, 2:2. Im fünften Leg Jim Williams dann mit der ersten 180 in dieser Zweitrundenpartie, der ließ er die 100, die 140 und die 81 folgen, damit war der 12-Darter und das erste Break zementiert, 3:2. Martin Schindler konterte im sechsten Durchgang stante pede, auch er startete mit der 180 und selbst wenn es bei ihm 14 Würfe waren, das Re-Break war unverzüglich erzielt und somit war alles wieder ausgeglichen, 3:3. Während der Waliser bei seiner Performance nur stagnierende Leistungen im Angebot hatte, vermochte es Martin Schindler innerhalb des Matchverlaufs sein Niveau sukzessive anzuheben, eine Stärke, die den 28-jährigen Strausberger schon oft genug ausgezeichnet hat. Im siebten Durchgang war Martin Schindler nah dran, das 124er-Finish rauszunehmen, doch obgleich die Double-8 erst mit der nächsten Aufnahme gelang, es war trotzdem das 4:3. Im achten Leg war der Deutsche schlichtweg schneller unterwegs, das brachte ihm das erneute Break ein, 5:3. In Durchgang Neun vergab Martin Schindler allerdings leichtfertig drei Matchdarts und holte damit den Gegner nochmal ins Spiel zurück. Jim Williams nahm die Einladung dankend an und griff sich mit nervenstarkem High Finish, 138 (T19, T15, D18) seinerseits das Break zum 4:5. Und Jim Williams verstand es auch in Leg Zehn, das Duell nochmal massiv spannend zu machen, als er die 96 treffsicher auscheckte und die Verlängerung erzwang, 5:5. George Noble, der neuerlich einen Decider zum Callen erhielt, versuchte erst mal wieder ein wenig Ruhe in den Saal zu bekommen, das singulär lautstarke Grölen vereinzelter Stimmungsmacher, vorzugsweise derer, die in der Nähe von Verstärkern saßen, wurde nun doch ein wenig arg tonangebend. Martin Schindler durfte das Entscheidungsleg beginnen und er ließ hier auch nichts mehr anbrennen. Jim Williams hatte noch die 247 vor Augen, da versenkte „The Wall“ seinen 14. Pfeil in der Double-16 und sicherte sich das 6:5. Nach Ricardo Pietreczko hatte also auch Martin Schindler das Achtelfinalticket gezogen.
Das Match, das eher einseitig begonnen hatte, avancierte zu einer fast schon surrealen Auseinandersetzung
Den Abschluss des Tages formten Josh Rock und James Wade, auch hier sollte es nochmal so richtig dramatisch zur Sache gehen. James Wade hatte gestern die deutsche Hoffnung, Lukas Wenig, aus dem Turnier geworfen. Lukas Wenig hatte lange Zeit viel dagegenzusetzen gehabt, warf dann aber irgendwie zu früh das Handtuch, so schien es zumindest von außen her. In Anbetracht der Tatsache, dass James Wade bereits Nachmittags in der ersten Runde antreten musste, wird so mancher ein wenig geschluckt haben, aber um es mal mit den legendären Worten von „MvG“ zu formulieren: „It is what it is“.
Josh Rock hatte das Ausbullen für sich entschieden, aber James Wade schnappte sich mit dem 14-Darter, inklusive Maximum und optimaler Vorbereitung (126) das erste Leg, 1:0. Das beantwortete Josh Rock im zweiten Leg ebenfalls mit 14 Würfen und ebenfalls mit seiner ersten 180, übersetzt heißt das: sofortiges Re-Break, 1:1. In den nächsten zwei Legs hielt jeder seinen jeweiligen Anwurf unangefochten, 2:2. James Wade konnte in Durchgang Fünf, das 96er-Finish mit 20, Double-18, Double-20, in beeindruckender Manier verabschieden, damit gelang ihm ein weiteres Break, 3:2. Und diesmal vermochte er das eben erzielte Break im nächsten Leg auch zu bestätigen, so baute er seine Führung auf 4:2 aus. In Leg Sechs wusste „The Machine“ das Ganze noch zu toppen, hier packte er den sehenswerten 12-Darter aus: 137 – 180 – 100 – 84, damit war er nur noch einen Leggewinn vom Sieg entfernt, 5:2. Doch Josh Rock war noch lange nicht geschlagen und konterte in Durchgang Sieben seinerseits mit dem 12-Darter, mitsamt hervorstechendem High Finish: 57 – 180 – 140 – 124 (20, T18, Bullseye), 3:5. – Anders war James Wade heute auch nicht beizukommen, außer er würde sich selber schlagen, was durchaus im Bereich des Möglichen lag! In Durchgang Acht hatte James Wade dann seinen ersten Matchdart, aber der Versuch, die Restforderung von 121 Punkten quitt zu werden, scheiterte am Bullseye. Josh Rock versenkte derweil seinen 13. Wurf in der Double-7 und war wieder dran am Gegner, 4:5. In Durchgang Zehn verschleuderte James Wade vier weitere Matchdarts, sie trafen weit jenseits des anvisierten Feldes, im Nirgendwo ein, auch das wusste der Kontrahent zu bestrafen, Ausgleich zum 5:5. Unfassbar – nach fünf Matchdarts gegen sich hatte Josh Rock den Decider erzwungen. Und in besagtem Entscheidungsleg, das übrigens der junge Nordire begann, hatte James Wade sage und schreibe vier weitere Matchdarts in der Hand. Alle Vier landeten irgendwo, nur nicht dort, wo sie landen sollten. Es war fast schon surreal: James Wade hatte neunmal(!) die Gelegenheit gehabt, siegreich über die Ziellinie zu schreiten, und alle neun Möglichkeiten wie unnützen Ballast über Bord geworfen. Auch Josh Rock hatte seine Doppelschwächen, aber letztendlich ließ er sich die Chance auf den Matchgewinn dann doch nicht entgehen. Der 6:5-Sieg für Josh Rock kam damit ebenso überraschend wie verdient. James Wade eilte verständlicherweise sichtbar angefressen von der Bühne.
Nach dieser fast schon fragwürdigen Begegnung ging es in eine kurze Pause, bevor am Abend der zweite Teil der zweiten Session starten würde.