German Darts Championship – Halbfinals, die sich kaum noch toppen lassen
Und es sollte ohne größere Pause weitergehen. Die Halbfinals standen an. Jetzt musste man allerdings sieben Legs siegreich bestreiten, denn der Modus hatte sich auf Best-of-13-Legs ausgeweitet.
Im ersten Match hatte sich Michael van Gerwen wohl vorgenommen, sich nach dem Sieg über Gabriel Clemens auch den nächsten Deutschen vorzuknüpfen. So wollte er sich im Halbfinale Ricardo Pietreczko zur Brust nehmen. Doch schon im ersten Leg hatte er die Rechnung ohne „Pikachu“ gemacht. Break vom Deutschen, 1:0. Die Majestätsbeleidigung ließ MvG nicht lange auf sich sitzen, Re-Break 1:1. Aber Ricardo hatte Blut geleckt, nächstes Break, erneute Führung, 2:1. Das Publikum sang: „Oh, wie ist das schön“, das befand auch „Mighty Mike“, als er wiederum den Ausgleich zum 2:2 warf. Und irgendwie hatte die Platte, die heimlich den Spielverlauf kommentierte, einen höchst angenehmen Kratzer, die Nadel blieb neuerlich an den Worten „nächstes Break“ hängen. Ricardo ging abermals mit 3:2 in Führung. Und setzte noch einen drauf, denn er bestätigte das Break und als erster holte er seinen eigenen Anwurf. 4:2. Irgendwie war man geneigt, sich zu kneifen, denn die Art und Weise, wie der Deutsche, (wohlgemerkt mit „Mighty Mike“ im Rücken), geschmeidig und ebenso selbstbewusst seine Pfeile geworfen und Legs abgeräumt hatte, schien wie ein unrealistischer Traum. Das siebte Leg: der Niederländer, der selbst ein paar Mal ungläubig die Augenbrauen nach oben gezogen hatte, holte seinen Anwurf, 3:4. Doch auch Pikachu brachte sein Leg nach Hause, 5:3. Dann Leg 8, auch „erstes Drama-Leg“ genannt, denn van Gerwen schaffte es nicht die Double-10 auszuchecken, traf das Doppel nebenan, sprich die Doppel-15. Ricardo machte es besser, checkte die 16, natürlich mit Double-8. Neuerlich Break und somit 6:3 für den Deutschen.
Drama pur
Dann ein weiterer dramatischer Wendepunkt. Im zehnten Leg hätte „Pikachu“ nur noch die 80 auschecken müssen, dann wäre der Sieg perfekt gewesen. Doch er zeigte Nerven. Triple-1, die einfache 15 und dann Triple-10. MvG nutzte den nervösen Aussetzer seines Kontrahenten, schloss mit 4:6 auf. Und auch in Leg 11 hielten die Nerven Pietreczkos nicht stand. Diesmal war es vor allem die einfache 5, die ihm gleich zwei Mal einen Strich durch die Rechnung machte. Van Gerwen wäre nicht van Gerwen, wenn er dies nicht für sich zu nutzen gewusst hätte. Anschluss 5:6. Man hatte schon beinah alle Hoffnung aufgegeben, denn auch in Leg 12 war die Nervosität ein größerer Gegner für Ricardo als der Mann in Grün gegenüber. Erneut spielte vor allem die Triple-1 eine Schlüsselrolle und vermochte es, dem Deutschen die Suppe gehörig zu versalzen. Van Gerwen gnadenlos: Ausgleich zum 6:6. Im letzten Leg dann das nächste Darts-Wunder (und das schon zwölf Wochen vor Weihnachten). Leg 13 stellte nochmal alles auf den Kopf, inklusive des Selbstverständnis-Bewusstseins eines Michael van Gerwens. Während van Gerwen in diesem Leg relativ schwaches Scoring zeigte, lauteten die ersten drei Aufnahmen von Ricardo: 140, 180 und 145. Damit blieb die Restforderung von 36. „Pikachu“ benötigte gerade mal einen Match-Dart und die 501 war komplett gelöscht. In diesem alles entscheidenden Moment hatte der Deutsche einen 10-Darter ans Board genagelt und verließ die Bühne als 6:5 Sieger gegen den Titelverteidiger Michael van Gerwen. Der absolute Wahnsinn, man konnte einfach nicht mehr – wo sollte das noch hinführen? Ins Finale natürlich!
Zweites Halbfinale: der aktuelle Darts-Dominator Luke Humphries gegen einen bissigen „Snakebite“
Und der Schotte hatte heute Abend wirklich den Saft einer Giftschlange getankt, denn wieder stand nach drei Legs eine Null auf dem Scoring Board. Aber, man mag es kaum glauben, die Null schmückte in diesem Moment den Namen Humphries, während Peter Wright bereits drei Legs auf sein Konto eingezahlt hatte. Erst ab Leg 4 blitzte hin und wieder die Performance seiner derzeitigen Überlegenheit auf und so holte sich „Cool Hand“ Luke zwei Legs hintereinander. 2:3. Doch auch Peter Wright war weiterhin im Flow. Selbst kleine Fehler korrigierte der Schotte stante pede: 4:2. Luke Humphries war zum ersten Mal am heutigen Tag unter die 100 im Average gerutscht, für seine Verhältnisse beinah schon „Krisenmodus“. Trotzdem holte er das 3:4. Man muss fast schon in den Geschichtsbüchern nachschlagen, um das Match zu finden, in dem Peter Wright „Cool Hand“ Luke im Scoring überholt hat. Heute trug diese Seltenheit gar eine gewisse Selbstverständlichkeit in sich. Peter Wright war jetzt schon bei 105 im Average angekommen, was ihm zum 5:3 und auch noch zum 6:3 verhalf. In Leg 10 hatte der Schotte bereits die Möglichkeit, das Match zu beenden, doch er tat das, was er in diesem Match noch nicht allzu häufig getan hatte: er versäumte und ließ Humphries nochmal ran. 4:6. Sein eigenes Leg holte der Engländer im Anschluss einigermaßen sicher: 5:6. Dann Anwurf Peter Wright zum Match. Und während Luke Humphries noch ungemütlich auf der 190 verweilte, krönte „Snakebite“ seine faszinierend-fantastische Leistung mit einem High Finish – er checkte die 116 (T20, 16, D20) – und machte das Finale komplett. Es war vor allem die Art und Weise, wie Peter den derzeit fast unbesiegbaren Engländer kontrollierte. „The man to beat“ war geschlagen. Somit Peter Wright der Finalgegner von Ricardo Pietreczko. Ein Final-Duell, auf das wohl nur die wenigsten vorher auch nur ein Pfund gesetzt hätten.