European Darts Championship 2024: „Pikachu“ liefert den spannendsten Kampf des Tages, „Goldfinger“ die größte Überraschung und der Titelverteidiger ist übrigens auch schon wieder raus
Wenn es eine Wahl zum Spieler des gestrigen Abends gäbe, so müsste der Sieger – man höre und staune – Ritchie Edhouse heißen. Fabelhafte 109,48 im Schnitt hatte er bei seiner Erstrundenpartie gegen Gian van Veen ans Board genagelt, der niederländische Nachwuchsstar, der in der European Tour Order of Merit immerhin auf Position 13 geführt wird, war bei dieser (aus seiner Sicht) 1:6-Klatsche, sozusagen chancenlos gegen den in der Rangliste auf 20 befindlichen Ritchie Edhouse. Diesen Platz teilt sich der 41-jährige Engländer übrigens mit Gary Anderson, und auch der Schotte spielte einen Average über 100 und besiegte mit Stephen Bunting, der seinerseits auf Zwölf gesetzt war, den Kontrahenten mit der auf dem Papier besseren Ausgangslage.
Weitere vermeintliche Favoriten, die bereits zum Turnierauftakt die Segel wieder streichen mussten, waren Gerwyn Price, Ross Smith, Dave Chisnall und leider auch Martin Schindler. Wobei es den 28-jährigen Strausberger natürlich besonders hart traf, denn zum einen war er bei diesem Major als erster Deutscher überhaupt, topgesetzt und vor allem hatte er sich vorgenommen, bei seiner fünften EM-Teilnahme, nicht nur endlich mal die erste Runde zu überstehen, sondern dann auch noch weitere Schritte nach vorne zu machen. Die Chancen dafür standen auch wirklich nicht schlecht, denn sein Gegner, Dirk van Duijvenbode, hatte sich erst vor wenigen Tagen den letzten freien Platz für die European Championship 2024 erkämpft und somit war der 32-jährige Last Minute Qualifizierte als 32. von 32 Teilnehmern an den Start gegangen. Keine Frage, was gestern seine Glückszahl war, oder? Zudem befindet sich der Niederländer, der sich als nächstes gegen Daryl Gurney beweisen muss, auf äußerst mühsamen Pfaden, um die Rückkehr in die Weltspitze zu schaffen. Dirk van Duijvenbode ist dennoch zuversichtlich, weil er, wie er es selbst bezeichnet: „im letzten Jahr auf einem Tiefpunkt angelangt war, aber seit ein paar Wochen könne er wieder normal trainieren, was ihm Hoffnung gäbe, sich bald wieder an sein ursprüngliches Leistungsniveau anzunähern.“ Nachdem er verletzungsbedingt immer wieder zurückgeworfen wurde, nicht zuletzt weil er sich auch nicht die entsprechenden Regenerationsphasen gegönnt hat, hadert er jedoch obendrein noch mit einer ganz anderen Erschwernis. Es ist möglicherweise ein hausgemachtes Problem, denn Dirk van Duijvenbode lässt sich einfach zu häufig vom eigenen Gedankengut ablenken respektive bringt er sich selber damit aus dem Rhythmus. Wenn ihn irgendetwas von außen stört, aber auch, wenn er mitten im Spiel seine eigene Performance analysiert, egal ob sie gut oder mangelhaft ist, wenn er zu intensiv ins Grübeln kommt, reißt er sich selbst aus der Konzentration heraus. So war es offenbar auch gestern, als er bereits mit 5:1 vorne lag. Laut eigener Aussage hat er dann angefangen, „über alles nachzudenken, was in so einem Moment nicht in seinen Gedanken sein sollte, womit er sich, trotz komfortabler Führung, selber nochmal nervös machte. Gerade noch rechtzeitig habe er die Kurve gekriegt und in den Fokus zurückgefunden.“ Dass er gegen den an Position Eins gesetzten Akteur gespielt habe, daran hatte er allerdings nicht gedacht, weil er: „bei allem Respekt, im Zusammenhang mit der Nummer Eins stets an Namen wie Luke Humphries oder Michael van Gerwen denke, sicher nicht an Martin Schindler“. Martin Schindler wird dies vermutlich weniger gestört haben, als die schmerzhafte Niederlage per se.
Ebenfalls einem Niederländer musste sich auch Gabriel Clemens ergeben, bei ihm war es Michael van Gerwen, der seinen 100er-Average genutzt hatte, um einen überlegenen Sieg einzufahren. Knapp an die 100er-Marke war auch Daryl Gurney herangekommen, mit 99 im Schnitt hatte er den um eine Position besser platzierten Gerwyn Price (16.) aus dem Turnier verabschiedet. Weit gravierender sah die Ranking-Differenz im Duell R. Smith/Woodhouse aus: Luke Woodhouse, einer von drei EM-Debütanten, hatte, auf Nummer 24 befindlich, dem dieses Jahr an Neun gesetzten Europameister von 2022, Ross Smith, mit 6:1 eine herbe Abreibung verpasst. Noch schlimmer traf es den auf Nummer Vier platzierten Dave Chisnall, der gar einen „Whitewash“ einstecken musste. Michael Smith, der sich in der European Tour-Rangliste mit Gabriel Clemens den 28. Platz teilt, machte regelrecht kurzen Prozess mit seinem Gegner und schickte „Chizzy“, samt dem Frust der 0:6 Niederlage, heim ins etwa 45 Meilen (ca. 70 km) nördlich der gemeinsamen Geburtsstadt St Helens gelegene Morecambe. Kleine geografische Randnote, sozusagen die Bonus-Info für die, die`s interessiert: ziemlich genau zwischen St Helens und Morecambe liegt auch Blackpool, wo alljährlich im Empress Ballroom der Winter Gardens das World Matchplay ausgetragen wird.
Aber zurück in die Dortmunder Westfalenhalle, in jene Gefilde, wo aktuell die European Championship 2024 stattfindet. Einen gestrigen Sieger habe ich unberechtigterweise noch nicht genannt: Ryan Searle, der hier an Acht gesetzt ist und so gut wie keine Wünsche offenließ, als er den im Ranking an 25 gelegenen Raymond van Barneveld, mit 6:2 schier überrollte. Die niederländische Darts-Ikone hatte anschließend lediglich ein Fazit übrig: „Ich habe hier einfach nur Prügel bezogen, so simpel ist es!“ Es scheint die neue Sachlichkeit niederländischer Couleur zu sein, die Dinge prägnant auf den Punkt zu bringen. „It is what it is!“ (MvG).
Zwei Spieler, die beide aktuell nicht in Bestform agieren – der „Big Fish“ musste trotzdem dran glauben
Ein anderer Niederländer sollte heute den Startpunkt des Abends bilden: Danny Noppert. Obgleich der 33-Jährige aus dem friesischen Joure derzeit nicht in kontinuierlicher Hochform unterwegs ist, hat ihn Kollege Dirk van Duijvenbode als einen immens konstanten Spieler bezeichnet, mit dem man immer rechnen muss, da er beständig wie kaum ein anderer in der Lage sei, sein Leistungspotential fokussiert abzurufen. Danny Noppert, an Elf gesetzt, bekam es hier mit Joe Cullen (22.) zu tun, der Ende April bei den Austrian Darts Open in der Steiermark Halle in Premstätten bei Graz, das Finale erreicht hatte, das aber dann mit 4:8 gegen Luke Littler verlor.
Wir befanden uns weiterhin in Runde Eins, in der die letzten acht Zweitrundentickets zu vergeben waren, das hieß, auch heute galt nochmal der Modus: First-to-6-Legs. Joe Cullen hatte das Ausbullen für sich entschieden, aber Danny Noppert war im ersten Durchgang einen bis fünf Schritte schneller zugange, Break zum 1:0. Das eben erzielte Break bestätigte „The Freeze“ im zweiten Leg, 2:0. Auch im dritten Durchgang hatte Danny Noppert einen Break-Dart, doch dafür hätte er Tops-Tops treffen müssen. Den ersten Pfeil versenkte er de facto in der Double-20, doch der zweite landete nur im einfachen Segment. Daher bekam der Gegner eine weitere Möglichkeit, auf höchst holprigem Weg hielt Joe Cullen sein begonnenes Leg und schaffte so mehr oder minder mühsam den Anschluss, 1:2. Auch Joe Cullen vergab im vierten Durchgang fünf Breakdarts, woraus wiederum Danny Noppert Kapital schlug und auf 3:1 davonschritt. Im fünften Leg zog der Engländer plötzlich das High Finish, 108 (T19, 19, D16) aus dem Ärmel, damit war der Anschluss wieder hergestellt, 2:3. In Durchgang Sechs war es die optimale 100er-Vorbereitung, die Danny Noppert zum 4:2 verhalf, bevor er in Leg Sieben einen weiteren idealen Set-up-Shot (110) auspackte, um mit dem nächsten Gang ans Oche neuerlich das Break zu landen, 5:2. Und im achten Durchgang brillierte die niederländische Nummer Zwei dann nicht nur mit dem exzellenten 12-Darter: 140 – 100 – 91 – 170, sondern hatte urplötzlich auch den „Big Fish“ aus dem Darts-Meer geangelt, 6:2. Stilvoller kann man ein Match kaum finalisieren, mit zehn Punkten mehr im Average hieß der erste Sieger des Abends verdient: Danny Noppert.
Ist der Sprung an die Spitze der walisischen Rangliste zugleich auch das Sprungbrett zu früheren Stärken
Anschließend betraten Chris Dobey und Jonny Clayton die Bühne. Der Waliser stand Ende Mai bei der Dutch Darts Championship im niederländischen Rosmalen im Endspiel, musste sich hier aber mit 4:8 Josh Rock geschlagen geben. Jonny Clayton und Chris Dobey waren im Ranking für die EM relativ nah beieinander, „The Ferret“ nahm Platz 18 ein, während der Engländer vor ihm auf Position 14 rangierte. Jonny Clayton holte sich gleich das erste Leg gegen den Anwurf, 1:0, ein Break, das er in Durchgang Zwei mit 14 Würfen bestätigte, 2:0. Im dritten Leg hatte auch Chris Dobey seine bis dahin merklich störende Doppelschwäche etwas besser im Griff, er verkürzte auf 1:2. Doch als sich der Engländer in Durchgang Vier mit der 137 die passende Vorbereitung servierte, war er einfach zu spät dran. Gegenüber traf Jonny Clayton die Double-20, die explizit nicht zu seinen erklärten Lieblingsdoppeln zählt und baute somit seinen Vorsprung wieder aus, 3:1. Dass der Waliser Tops nicht unbedingt mag, bewies er in Leg Fünf, als vier Versuche am Doppel-Segment vorbeisegelten. Auf der anderen Seite rettete Chris Dobey seinen Anwurf doch noch irgendwie ins Ziel und fand neuerlich den Anschluss, 2:3. 14 Würfe später hatte Jonny Clayton in beachtlicher Manier mit zwei Pfeilen die verbliebene 96 ausgemacht, 4:2. Auch Chris Dobey brauchte im siebten Durchgang lediglich 14 Darts, da stand das 3:4 fest. Einen Wurf mehr benötigte Jonny Clayton in Leg Acht, um seinen Zwei-Punkte-Vorsprung erneut herzustellen, 5:3, bevor sich Chris Dobey, trotz hervorragend bedrohlichem Set-up-Shot (140) des Gegners, nicht irritieren ließ und im neunten Durchgang zum letzten Mal in diesem Match den Anschluss fixierte, 4:5. Doch Jonny Clayton ließ in Leg Zehn nichts mehr anbrennen. Hier war es Chris Dobey, der sich mit der 134 die gekonnte Vorbereitung geliefert hatte, aber „The Ferret“ eliminierte 84 Restpunkte standesgemäß mit 20, 14 und Bullseye, 6:4. Jonny Clayton, mit über drei Punkten weniger im Durchschnitt, 94,51, (Chris Dobey: 97,74), hatte somit einmal mehr unter Beweis gestellt, dass die Setzliste bei diesem Turnier nicht unbedingt der ausschlaggebende Faktor sein muss und offensichtlich auch nicht der Average.
„I`m still standing“ – der European Championship Triumphator von 2018 ist einfach nicht unterzukriegen
Nachfolgend stand das Duell: Rob Cross versus James Wade, auf dem Plan. Rob Cross hatte auf der European Tour dieses Jahr zweimal das Finale erreicht, wobei er beim ersten Event dieser Reihe, den Belgian Darts Open, Anfang März in Wieze, im Decider gegen Luke Littler, nur äußerst knapp den Kürzeren zog und bei den Baltic Sea Darts Open, im Mai in der Wunderino Arena in Kiel, gegen Luke Humphries mit 8:6 die Oberhand behielt. Seine Ergebnisse haben Rob Cross dieses Jahr bis auf Position Sieben der European Tour Order of Merit vorgespült, James Wade muss sich hingegen mit Platz 26 begnügen.
James Wade mit dem ersten Anwurf und mit dem ersten 12-Darter in dieser Partie: 140 – 180 – 137 – 44, 1:0. Rob Cross antwortete unverzüglich und ebenbürtig, auch er servierte im zweiten Leg den 12-Darter und packte dabei auch noch das High Finish hinein: 119 – 140 – 125 – 117 (20, T19, D20), 1:1. Im dritten Durchgang hatte sich James Wade mit gezielter Vorbereitung (125) die 40 gestellt, doch überraschenderweise genügten ihm sechs Versuche anschließend nicht, diese dann auch wieder loszuwerden. Rob Cross bestrafte die Nachlässigkeit des Kontrahenten mit dem Break, 2:1, aber „The Machine“ konterte im vierten Leg mit dem neuerlichen 12-Darter: 140 – 180 – 99 – 82, und landete somit das umgehende Re-Break, 2:2. Rob Cross war im fünften Durchgang nah dran, die Break-Serie fortzusetzen, aber beim Versuch, die Restforderung von 74 Punkten quitt zu werden, traf er das falsche Doppel. Statt in der Double-10, versenkte „Voltage“ seinen dritten Pfeil in der Double-15 – „No Score!“. Gegenüber nahm James Wade die verbliebene 40 diesmal mit zwei Würfen heraus und ging wieder in Führung, 3:2. Im sechsten Leg löschte der erklärte Autoliebhaber beim vierten Gang ans Oche die 170, den „Big Fish“ hatte er damit allerdings nicht an Land gezogen, denn noch hatte er 31 Restpunkte vor der Brust. Nachdem Rob Cross jedoch einen Checkout-Dart auf die Double-16 vergeben hatte, war der Weg frei für James Wade, mit dem 14. Pfeil hatte er das 4:2 sichergestellt. Im siebten Durchgang zauberte Rob Cross nochmal ein sehenswertes High Finish aus dem Hut, mit zweimal Triple-18 und der Double-16 wischte er 140 Punkte vom Board und schaffte so nochmals den Anschluss, 3:4. Doch dann setzte James Wade zum Endspurt an. Sowohl in Leg Acht wie auch im neunten Durchgang, genügten dem 41-Jährigen aus Aldershot in der englischen Grafschaft Hampshire, 15 Würfe und beide Male stand der Gegner noch auf der 110, als der ehemalige Kfz-Mechaniker den Leggewinn für sich verbuchte. Übersetzt hieß das: 6:3-Sieg für James Wade gegen Rob Cross. Übrigens hatte auch James Wade hier wieder einen Average von über 100 geliefert, genauer gesagt: 100,71.
Der letztverbliebene deutsche Hoffnungsträger erweist sich als unerschütterliche Kämpfernatur
Noch ein drittes und letztes Mal bei dieser Europameisterschaft durfte Darts-Deutschland hoffen, Ricardo Pietreczko war nun an der Reihe, ihm gegenüber stand der Australier, Damon Heta. Auch Ricardo Pietreczko hatte in der laufenden Saison ein Finale auf der European Tour erreicht, es war Anfang September in Antwerpen bei der Flanders Darts Trophy, wo er nach einem starken Auftritt, trotz bodenständigem Kampfgeist und viel Willenskraft, Dave Chisnall schlussendlich doch noch mit 6:8 unterlag. Heute Abend ging Ricardo Pietreczko als theoretischer Favorit ins Rennen, da er in der Rangliste Platz 14 einnimmt, während Damon Heta auf der 19 positioniert ist. Damon Heta wusste natürlich, dass er es in Dortmund gegen einen einheimischen Vertreter nicht allzu leicht haben würde, dennoch gelang es ihm beim Walk-on, mit Hilfe von Mickie Krause und dessen Ballermann-Rhythmen die Menge zunächst von „links nach rechts“ zu rücken und zu entzücken. Doch kaum war auch „Pikachu“ auf der Bühne angekommen, stimmte der unterstützende Chor natürlich eine andere Tonart an.
Ricardo Pietreczko hatte das Ausbullen gewonnen, aber auf Doppel ging zunächst gar nichts. Mit der 140 als treffliche Vorbereitung hatte er sich die 36 gestellt, sechs Checkout-Versuche genügten jedoch nicht, um diese dann auch zu eliminieren. Damon Heta war ebenfalls nicht überirdisch unterwegs, aber schließlich reichte ihm die Zeit doch, um das Break einzukassieren, 1:0. Im zweiten Durchgang war Damon Heta dann weit flüssiger zugange, 64 Restpunkte radierte er mit einer Aufnahme aus, schon hieß es 2:0 für ihn. Erst im dritten Leg war auch Ricardo Pietreczko im Spiel angekommen, 14 wohlplatzierte Würfe und er hatte den Anschluss hergestellt, 1:2. Einmal ins Rollen gekommen, ließ sich der gebürtige Berliner auch im vierten Leg nicht stoppen, der großartige 12-Darter war Beleg dessen: 180 – 140 – 123 – 58. Das Break zum Ausgleich bestätigte Ricardo Pietreczko in Durchgang Fünf, wobei er nicht nur mit dem 13-Darter, sondern vor allem mit dem imposanten 177er-Set-up-Shot zu beeindrucken wusste. Somit ging der Deutsche zum ersten Mal an diesem Abend in Führung, 3:2. Aber auch Damon Heta war in prächtiger Spiellaune und räumte die nächsten drei Legs in Folge ab. Bemerkenswert hierbei war vor allem der 14-Darter im siebten Leg und die präzis gesetzte Vorbereitung (132) in Durchgang Acht, 5:3. Mit der drohenden Niederlage vor Augen, machte sich „Pikachu“ im neunten Leg daran, das 144er-Finish zu löschen, zwei Pfeile landeten erfolgreich in der Triple-18, doch den dritten versenkte er nur im einfachen 18er-Segment. Damon Heta war zu diesem Zeitpunkt jedoch noch auf der 205 und auch beim nächsten Gang ans Oche konnte er lediglich 60 Punkte subtrahieren. Ricardo Pietreczko bekam also eine weitere Gelegenheit, 18 Restpunkte quitt zu werden, ein Pfeil genügte und damit verkürzte er auf 4:5. Und 14 Würfe später hatte der Deutsche gar den Ausgleich errungen, 5:5, zum ersten Mal seit Turnierbeginn ging es in einen Decider. Ricardo Pietreczko mit dem Anwurf und auch er weiß, wie man ein Match in Style zu Ende bringt. Triple-19, 13 und Double-16, damit hatte der Wahl-Hannoveraner 102 Restpunkte ausgemacht und das Entscheidungsleg respektive das Match für sich entschieden. Im letzten Moment den Kopf noch aus der Schlinge gezogen, war es „Pikachu“ gelungen, einen 3:5 Rückstand noch zu drehen. Damon Heta stand die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben, dass er abermals den letzten Schritt über die Ziellinie nicht geschafft hatte, wird wohl noch einige Zeit an ihm nagen. Unsere Gratulation gilt aber Ricardo Pietreczko, der mit 100,5 im Average ebenfalls die 100er-Marke zu knacken vermochte und vor allem, dass er als einziger Deutscher die zweite Runde erreicht hat.
In den letzten fünf Jahren schieden sämtliche Titelverteidiger in der ersten Runde aus – würde der „Fluch des Titelverteidigers“ Peter Wright ein weiteres Mal treffen?
Der Titelverteidiger Peter Wright war nun an der Reihe, er wurde heute Abend von Jermaine Wattimena gefordert. „Snakebite” konnte auch in dieser Saison ein Event der European Tour für sich entscheiden, es war die German Darts Champion¬ship, Ende August/Anfang September in Hildesheim, bei der er – für etliche ziemlich überraschend – nach relativ kuriosem Matchverlauf, Luke Littler mit 8:5 in die Schranken wies. Der schottische Publikumsliebling ist hier an Zehn gesetzt, Jermaine Wattimena auf 23.
Es sollte eine der bittersten Niederlagen des populären „Paradiesvogels“ werden, denn Peter Wright bekam heute keinen Fuß auf den Boden. Jermaine Wattimena hatte im ersten Durchgang den Anwurf, der Gegner stand noch auf der 136, da verlautbarte der Caller das 1:0 für den Niederländer. Im zweiten Leg war Peter Wright zumindest schon mal 100 Punkte weiter, doch auch die verbliebene 36 sollte ihm erhalten bleiben, denn Jermaine Wattimena hatte bereits das 2:0 ausgemacht. In Durchgang Drei blickte „Snakebite“ auf 86 verbliebene Zähler, da checkte der 36-Jährige aus Westervoort 62 Punkte aus, 3:0. Im vierten Leg offenbarte auch Jermaine Wattimena ein paar kleine Schwächen beim Checkout, für 40 Restpunkte benötigte er sechs Pfeile, doch auch daraus konnte der Weltmeister von 2020 und 2022 nicht profitieren, auch hier ward ihm nicht ein einziger Versuch auf ein Doppelfeld vergönnt. Stattdessen fand Jermaine Wattimena den Fluchtweg aus dem „Madhouse“, 4:0. Im fünften Durchgang parkte Peter Wright gar noch auf der 240, da hatte der Kontrahent aus den Niederlanden bereits seine Leggewinndarts aus dem Board gezogen, 5:0. Und als Jermaine Wattimena im sechsten Durchgang auch noch die 100 mit Triple-20 und Double-20 gelöscht hatte, war der zweite „Whitewash“ innerhalb des Turnierverlaufs perfekt. 6:0 für Jermaine Wattimena, der zwar lediglich 90,18 im Schnitt geliefert hatte, aber wenn der Gegner klägliche 74,81 präsentiert, reicht natürlich auch das. Es war eine unterirdische Performance, die „Snakebite“ heute an den Tag gelegt hatte. Damit war er (nach James Wade Sieger in 2018, Rob Cross 2019 und 2021, Ross Smith 2022 und Peter Wright selbst hatte in 2020 sowie in 2023 gewonnen), der sechste Titelverteidiger in Folge, der im Folgejahr sein Auftaktmatch verliert.
Tiefenentspannt in die Sensation gleiten – Andrew Gilding zeigt, wie`s funktioniert
Dann folgte die nächste spannende Paarung: Luke Littler gegen Andrew Gilding. Luke Littler hatte auf der European Tour 2024 insgesamt drei Mal im Endspiel gestanden und zwei davon auch gewonnen. Wie oben erwähnt, ging der 17-Jährige sowohl bei den Belgian Darts Open wie auch bei den Austrian Darts Open als Sieger hervor, lediglich in Hildesheim, auch das ward bereits festgestellt, musste er Peter Wright den Vortritt lassen. Entsprechend dieser herausragenden Leistungen, wird Luke Littler bei seinem EM-Debüt an der Setzposition Drei geführt, während Andrew Gilding, der von Haus aus ja sehr genügsam ist, sich mit Rang 30 zufrieden geben muss.
Gewohnt tiefenentspannt ging Andrew Gilding, dem es wahrscheinlich – wie keinem anderen auf dem Circuit – völlig gleichgültig ist, wer gegenübersteht, auch heute zu Werke. Mit Anwurf und der üblichen Geschmeidigkeit in der ritualisierten Wurfbewegung, schnappte er sich zunächst Durchgang Eins, 1:0, bevor er in Leg Zwei gar sieben perfekte Darts vorlegte. Auch der achte Pfeil landete in einem Triple-Segment, allein es war die Triple-7. Statt dem Neun-Darter wurde es der 12-Darter – Jammern auf hohem Niveau – wichtig war für Andrew Gilding in erster Linie das Break und somit das 2:0. Im dritten Durchgang hatte sich Luke Littler virtuos und auch einigermaßen humorvoll mit dem 140er-Set-up-Shot die 40 aufbereitet, doch als der verbliebene Restbetrag drei weiteren Versuchen partout nicht weichen wollte, war Schluss mit Lustig. Denn gegenüber bestrafte Andrew Gilding diesen Lapsus mit dem nächsten Leggewinn und ging mittlerweile mit 3:0 in Führung. Klar, ein solcher Rückstand kann Luke Littler noch nicht wirklich erschrecken, insbesondere, da ja nur ein Break dazwischenlag, aber bei der kurzen Distanz weiß man nie. Auf jeden Fall machte sich der aktuelle Premiere League Champion ab Durchgang Vier auf den Weg, den Rückstand raschestmöglich wieder wettzumachen, 15 Würfe später stand es 1:3. Im fünften Leg fehlte Andrew Gilding ein My, um das 164er-Finish zu löschen, aber nach den Treffern in der Triple-20 und der Triple-18, kratzte der Pfeil aufs Bullseye nur an dessen äußerem Mitteldraht. Die verbliebene 25 wurde „Goldfinger“ bei der nächsten Aufnahme nicht los, der Gegner nutzte die Fahrlässigkeit, um seinerseits das Break sicherzustellen, 2:3. Jenes Break bestätigte Luke Littler im sechsten Durchgang, da war auch der Ausgleich abermals da, 3:3. Alles wieder auf Anfang, aber Andrew Gilding holte im siebten Leg überraschend das große Besteck heraus: 98 – 140 – 180 – 83, der 11-Darter gereichte ihm zur erneuten Führung, 4:3. Luke Littler ließ sich jedoch kein zweites Mal so einfach abhängen und glich im achten Durchgang postwendend wieder aus, 4:4. Im neunten Leg war es Luke Littler, der das 156er-Finish nur um Haaresbreite verpasste, zweimal Triple-20 war kein Problem, aber die Double-18 machte ihm einen gehörigen Strich durch die Rechnung. Stattdessen manövrierte Andrew Gilding, der vorher ebenfalls zwei Checkout-Versuche auf Tops ins Jenseits befördert hatte, bei der nächsten Aufnahme gleich den ersten Pfeil in die Double-20, damit hatte er auch dieses begonnene Leg bedächtig über die Ziellinie geschoben, 5:4. Im zehnten Durchgang hatte sich Luke Littler mit der 137er-Vorbereitung „seine“ Double-10 gestellt, aber er sollte keine Gelegenheit mehr bekommen, diese auch wieder abzutragen. Denn Andrew Gilding bugsierte seinen insgesamt 15. Pfeil in diesem Leg in die Double-20, damit hatte er nicht nur ein weiteres Break gelandet, sondern auch den Matchgewinn eingetütet. 6:4 für den 53-jährigen UK Open Champion von 2023, der einen Average von 98,92 aufwies, gegenüber 95,39 seines jungen Kontrahenten. Der Sieg von Andrew Gilding über Luke Littler gehörte mit Sicherheit zu den größten Überraschungen des bisherigen Turnierverlaufs.
Der Weltmeister glänzt mit einer Bravourleistung, die ihresgleichen sucht
In der vorletzten Partie des Abends trafen Luke Humphries und Nathan Aspinall aufeinander. Nathan Aspinall wurde im Ranking nur an Nummer 31 geführt, die lange Verletzungspause hatte natürlich erheblich zu jener moderaten Positionierung beigetragen. Ebenso wie Luke Littler, stand auch dieser Luke im laufenden Jahr dreimal im Endspiel eines European Tour Events, und auch Luke Humphries stemmte zweimal den Siegerpokal gen Hallendecke. Beim German Darts Grand Prix, Ende März/Anfang April in München frühstückte er Michael van Gerwen mit 8:1, und die gleiche Ergebnis-Klatsche bescherte er Kim Huybrechts, beim abschließenden Turnier der Reihe, den Czech Darts Open vor etwa einer Woche in der tschechischen Hauptstadt, Prag. Lediglich bei den Baltic Sea Darts Open, auch das wurde oben schon angesprochen, musste der Weltranglistenerste den zu allem entschlossenen Rob Cross vor sich anerkennen.
Ein Kabinettstück par excellence zeigte am heutigen Abend einmal mehr Luke Humphries. Nathan Aspinall hatte mit Anwurf und dem 13-Darter im ersten Leg eigentlich recht gut vorgelegt, 1:0, bevor der Weltmeister in Durchgang Zwei gewaltig ins Rollen kam, 1:1. Das dritte Leg holte sich „Cool Hand, Luke“ mit High Finish, 122 (T18, T18, D7), 2:1, und in den vierten Durchgang startete der Weltranglistenerste, ähnlich wie Andrew Gilding im Match zuvor, mit sieben perfekten Darts. Bei Luke Humphries wurde es schlussendlich der 11-Darter, der ihm das 3:1 bescherte. Lediglich einen Wurf mehr benötigte der 29-Jährige aus Newbury, um im fünften Durchgang das 4:1 zu zementieren. Zweimal die 140, die 180 und das 41er-Checkout, da war auch dieses Break verbucht. Nathan Aspinall wusste derweil nicht, ob er frustriert oder fasziniert sein soll, er hatte auf jeden Fall den teuersten Zuschauerplatz bei der Paradevorstellung seines Gegners ergattert. Im sechsten Leg checkte Luke Humphries mit zweimal Triple-20 und Double-16 die 152 aus, schon stand es 5:1. In Durchgang Sieben ließ der aktuelle World Matchplay Champion dann tatsächlich auch mal drei Darts auf Doppel liegen. Nathan Aspinall nutzte die rare Gunst der Stunde, um nochmal ein wenig Ergebniskosmetik zu betreiben, 2:5. Aber in Leg Acht machte Luke Humphries endgültig den Deckel aufs Match drauf, 6:2. Selbst Nathan Aspinall konnte nicht allzu betrübt über seine Niederlage sein, zu sehr hatte ihm die heutige Darbietung des Gegners gefallen. Er selbst konnte mit hervorragenden 98,88 im Schnitt aufwarten, aber wie niedrig erscheint dieser Average auf einmal, wenn der Gegner im Durchschnitt 106,49 Punkte ans Board schmettert.
Wo ist Josh Rock abgeblieben? – Mike De Decker erfährt so gut wie keine Gegenwehr
Den Titel beim World Grand Prix 2024 hatte sich Mike geholt. Es war jedoch nicht „Mighty Mike“, den vorher durchaus viele im Finale gesehen hatten, sondern Mike De Decker, der als Sensationssieger den renommierten Major-Titel, den Pokal, der ein wenig aussah wie eine bemalte „Big Ben“-Statuette (ausgesprochen hübsch allemal!) und den ebenfalls hübsch anzusehenden Siegerscheck entgegennahm. Sein Erstrundengegner in diesem Major hieß Josh Rock, der sich Ende Mai die Dutch Darts Champion¬ship gegen Jonny Clayton gesichert hatte und damit Platz Sechs in der Rangliste einnahm, während Mike De Decker von Position 27 aus ins Rennen startete.
Auch die abschließende Begegnung war eine eher einseitige Angelegenheit, denn Josh Rock fand so gar nicht in die Partie hinein, während Mike De Decker sämtliche Fehler seines Gegenübers zu bestrafen wusste. Schon im ersten Leg sah der Nordire überhaupt kein Land, Mike De Decker ging unangefochten mit 1:0 in Front. Im zweiten Durchgang präsentierte der Belgier innerhalb des Legs zweimal die 180, nach neun Würfen war er schon unten auf der 48 angelangt, da betrachtete Josh Rock noch die Restforderung von 204 Punkten. So konnte sich Mike De Decker acht weitere Würfe Zeit nehmen, um besagte 48 loszuwerden, ohne dass der Gegner auch nur in Sichtweite kam, 2:0. Auch im dritten Durchgang verspürte der frischgekürte World Grand Prix-Sieger keinerlei Gegenwehr, der nächste Leggewinn war lediglich eine Frage der Zeit, 3:0. Im vierten Durchgang dann mal ein kurzes Lebenszeichen von Josh Rock, 1:3, mehr als seine physische Anwesenheit konnte er damit aber nicht unter Beweis stellen. Das klägliche Elend des 23-Jährigen aus dem nordirischen Antrim setzte sich auch in den nächsten drei Durchgängen fort, auf der anderen Seite kassierte Mike De Decker Leg für Leg ein, am effektivsten war er dabei in Durchgang Sechs zugange, als er mit 14 Würfen das Break zum 5:1 ausmachte. Auch das siebte Leg war dann nurmehr reine Formsache, somit war der 6:1-Sieg fix. Mike De Decker hatte heute keine überragende Leistung zutage gefördert, musste er auch nicht, denn sein Gegner, Josh Rock, war so gut wie nicht anwesend.
Damit waren alle Tickets für die zweite Runde vergeben und auch wenn die Abschlusspartie vielleicht nicht der Klasse des heutigen zweiten Spieltages entsprach, war es alles in allem ein grandioses Festival an Unterhaltung, Überraschungen und Spannung. Zu letzterem Kriterium hat vor allem Ricardo Pietreczko beigetragen, der einmal mehr bewiesen hat, dass es sich stets lohnt, nie aufzugeben und bis zum letzten Dart sein Bestes zu geben. In diesem Sinne: Always Look on the Bright Side of the Flight!